Der mysterioese Zylinder
Geboten der Bibel erweitert, bei Innes oder Crispin lesenden Zeitgenossen begeisterte Zustimmung fanden.
Der Begriff der »Firma Ellery Queen«, zu der sich die Vettern zusammenschlossen, bekommt ab den vierziger Jahren einen eigentümlichen Doppelsinn: Neben dem ›Namen‹ für ihre Coproduktion bedeutet er jetzt auch eine wirkliche Firma, ja einen Konzern. Der Erfolg der Radioserie, Arbeit an Filmprojekten, eine auf Dannays Sammeltätigkeit zurückgehende regelrechte Editionsfabrik mit über 100 Anthologietiteln, die Herausgabe der niveauvollsten Genrezeitschrift, des »Ellery Queen Mystery Magazine« seit 1941, die ungebrochene Nachfrage nach neuen Romanen von und mit Ellery Queen, der Aufbau ganzer neuer Serien, die stark der Amerikanischen Schule nachempfunden wurden oder für jugendliche Leser bestimmt waren – dies alles mußte selbst die Kräfte eines von Haus aus doppelt besetzten Autors übersteigen. In den letzten Jahren wurde dann auch in Einzelfällen nachgewiesen, was generell auf der Hand lag: Im Spätwerk stammen etliche Romane von anderen Autoren, und »Ellery Queen« steht hier in der schlechten alten ›nègre‹Tradition eines Dumas père. Dies Verfahren bot sich in seinem Fall besonders an, waren doch auch die früheren Werke in einer von den beiden nie erläuterten Kooperation entstanden, die man jetzt einfach auf weitere Autoren ausdehnte, die unter der Oberaufsicht von Dannay oder Lee arbeiteten. Auch wenn sich so prominente Namen wie Theodore Sturgeon unter den mit einem Pauschalhonorar abgefundenen Ghostwritern finden, ist ein starkes Qualitätsgefälle innerhalb dieses Corpus und zu den ›echten‹ Queens unverkennbar.
So erfreulich diese Wandlung der »Firma« zum Konzern für das Vermögen von Dannay und Lee war, so schadete sie doch dem Markenzeichen, auf das sie in ihren Anfängen so bewußt geachtet, das sie mühsam entwickelt und sorgfältig gepflegt hatten. Die Konzessionen späterer Werke an den Geschmack eines am ›hard-boiled‹-Genre geschulten Publikums ließen auch in Amerika das Gesamtwerk bis in die Umschlaggestaltung der neueren Taschenbuchserien hinein in die Nähe Mickey Spillanes und seiner Epigonen geraten und führten in Deutschland gar zu einer bei solchen Produkten branchenüblichen bedenkenlosen Kürzung mit anschließender Billigübersetzung und liebloser Edition. Nur so wird die Feststellung verständlich, mit der Helmut Heißenbüttel seinen Aufsatz über die »Spielregeln des Kriminalromans« eröffnete: »Ich habe sechs-bis siebenhundert Kriminalromane gelesen und bin weiter ein ziemlich regelmäßiger Leser dessen, was neu auf den Markt kommt oder was mir bisher entgangen ist … Manches hat sich von selbst ausgeschieden. So kann ich, nach einigen Versuchen, nur schlecht Edgar Wallace oder Ellery Queen lesen.« Zweck dieser ungekürzten Neuübersetzung ist es, »Ellery Queen« für Heißenbüttel und andere Liebhaber des klassischen Detektivromans aus dem achtzehnkarätigen ›Golden Age‹ als einen der besten dieser Klassiker wiederzuentdecken.
Volker Neuhaus
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