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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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des Stapels lag: der Füllfederhalter! Das Geschenk seines Adoptivvaters zum bestandenen Diplom, das er zuletzt auf dem Telefontisch gesucht hatte, damit Volwarth ihm ein Rezept ausstellen konnte. Fassungslos starrte Leon auf die goldene Feder, deren Spitze wie eine Kompassnadel auf ihn zeigte. Er nahm den Füller in die Hand, und dadurch wurden mehrere Ziffern sichtbar, die, sorgfältig untereinander notiert, bislang von dem Schreibgerät verdeckt gewesen waren.
    Leon vermutete, dass es sich um eine Telefonnummer handelte, und tippte sie in Natalies Handy, um diesem Hinweis später nachgehen zu können, doch kaum hatte er die letzte Ziffer gewählt, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Natalies Handy hatte die Nummer schon nach den ersten Ziffern erkannt. Der Anschluss war als Kontakt abgespeichert, und das konnte sich Leon ebenso wenig erklären wie die Umstände, die ihn hier in diesen Verschlag geführt hatten.
    Dr. Volwarth?
    Was hatte die Nummer seines Psychiaters in dem Telefon seiner Frau zu suchen?
    Ratlos starrte er auf die sorgsam ausgefüllten Adresszeilen. Er hatte mit Natalie oft über die Schlafstörungen in seiner Kindheit geredet und dabei gewiss auch den Namen des Arztes fallenlassen, der ihn damals betreut hatte, aber das erklärte noch lange nicht, weshalb sie über Dr. Volwarths Praxisanschrift, seine E-Mail-Adresse und sogar über eine Mobiltelefonnummer für Notfälle verfügte.
    Stehen die beiden etwa in Kontakt?
    Unter normalen Umständen hätte er nach einer logischen, harmlosen Erklärung gesucht. Aber hier unten waren die Umstände weder normal noch logisch.
    Und ganz gewiss nicht harmlos.
    Er begutachtete den Verschlag noch einmal genauer im Licht der Steckdosenlampe. Er stutzte. Hielt den Atem an, zwang sich zur Ruhe. Und sah erneut zu Boden.
    Was er vorhin für ein Laken gehalten hatte, worüber er gestolpert war … ist etwas viel Schlimmeres.
    Er beugte sich nach unten, griff nach dem Stoff, der sich weich anfühlte, wie frisch gewaschen, wären da nicht die rostfarbenen Flecken gewesen, die die geblümte Baumwolle an der Stelle durchtränkten, wo das glatte Material in eine Rüschenapplikation überging.
    Leon schloss die Augen, und das Bild von Natalie, die vor dem Schrank kniete und hastig ihre Sachen in den Koffer presste, stieg in ihm auf. Die Erinnerung an ihre Flucht aus der Wohnung hatte sich wie ein Reifenabdruck in den Asphalt seines Gedächtnisses geprägt. Er war sich sicher, jedes Detail dieser Szene bis an sein Lebensende wieder und wieder abrufen zu können, und sei es auch noch so unwichtig – wie zum Beispiel, welches Oberteil Natalie getragen hatte. Es war ihre Lieblingsbluse gewesen: die geblümte mit den Rüschenärmeln.
    Natalie? Wo bist du?
    Leon wollte das Gesicht in dem Stoff vergraben, den Geruch seiner Frau inhalieren, soweit er überhaupt noch vorhanden war und nicht bereits von anderen Düften überlagert wurde (Keller, Blut, Angst)  – doch dann fiel das Licht aus.
    Es gab ein helles Klirren, offenbar war die Glühbirne der Steckdosenlampe zerplatzt, und dieses Geräusch in Verbindung mit der unerwartet über Leon hereinbrechenden Finsternis erschreckte ihn so sehr, dass er das Handy fallen ließ.
    Hastig tastete er auf dem staubigen Boden nach seiner nunmehr einzigen Lichtquelle, und die beklemmende Angst, nie wieder aus dieser Unterwelt herauszufinden, erreichte ihren Höhepunkt, als Leon in der Dunkelheit von etwas berührt wurde.

17.
    L eon schrie und erschrak vor seiner eigenen Stimme. Er schlug nach dem Hosenbein, an dem er den Zug gespürt hatte, als wollte ihn jemand festhalten. Dabei streiften seine Finger das verloren geglaubte Handy, das er jetzt wie eine Hantel umklammerte.
    Der Akku piepte, um eine Energieleistung von unter zwanzig Prozent anzuzeigen, als er zum hundertsten Mal das Display aktivierte, innerlich darauf eingestellt, einer Fratze in die blutenden Augen zu leuchten. Er erwartete ein weit aufgerissenes Maul und Fangzähne, nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, bereit zum Zubeißen, Kauen, Schlucken.
    Doch alles, was er sah, war die offen stehende Tür.
    Raus hier!
    Leon rappelte sich auf und taumelte aus dem Verschlag. Ohne nachzudenken, lief er in die falsche Richtung, weg von der Gabelung, die ihn zur Sprossenleiter zurückgeführt hätte.
    Nach einigen Metern stolperte er über einen Steinvorsprung und hielt an, um sich umzusehen, doch da war nichts außer der undurchdringlichen Schwärze des

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