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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Ganges.
    Leons Gedanken rasten so schnell wie sein Puls. Er überlegte, wie er am schnellsten wieder nach oben gelangen konnte, ohne erneut den Raum passieren zu müssen. Jetzt erst bemerkte er, dass er die blutverschmierte Bluse mitgenommen hatte. Seine Finger hatten sich in den Stoff verkrampft. Er stopfte sie sich in die Brusttasche seines Blaumanns, dann überwand er sich, wieder zurückzugehen. Zu groß war die Gefahr, sich zu verlaufen. Und wenn es hier unten tatsächlich etwas gab, das ihm auflauerte, konnte es überall sein und müsste nicht darauf warten, ihn aus dem Verschlag heraus anzuspringen.
    Da raschelte es. Und zwar direkt neben ihm.
    Das ist nur ein Tier. Eine Ratte vielleicht. Oder Morphet, versuchte er sich zu beruhigen, aber vergeblich. Sein Fluchtinstinkt war stärker als die Vernunft.
    Leon wich zurück, drehte sich, rannte nach vorne, prallte gegen eine Wand und hatte völlig die Orientierung verloren. Der einzige Anhaltspunkt war das Rascheln in seinem Rücken, das mittlerweile zu einem lauten Schaben geworden war und das er um jeden Preis hinter sich lassen wollte. Nur wurden die Geräusche umso lauter, je länger er den Gang entlangstrauchelte, dessen Konturen er in dem schwachen Schein des Telefons nur erahnen konnte.
    Plötzlich jagte ihm ein jäher Schmerz durch die Schulter, und er musste eine Zwangspause einlegen. Er besah sich das Hindernis, gegen das er gerannt war, und erkannte eine Metallsprosse in der Wand. Sie vibrierte wie eine angeschlagene Stimmgabel, als er nach ihr griff. Dann hörte er es hinter sich erneut rascheln, wieder etwas lauter, etwas näher, und erst in dieser Sekunde begriff Leon, dass es zwei unterschiedliche Geräusche waren, die ihn jagten. Sie kamen aus verschiedenen Richtungen. Während das Rascheln sich langsam auf ihn zubewegte, dröhnte das metallische Schaben direkt über seinem Kopf, jedoch aus weiter Entfernung. Es kam Leon nicht so lebendig und daher ungefährlicher vor.
    Als er in Kopfhöhe eine zweite Sprosse im Mauerwerk ertastete, zögerte er keine Sekunde länger.
    Er hangelte sich nach oben, und dieses Mal war es der Aufstieg, der ihn ins Ungewisse führen sollte.

18.
    S tufe für Stufe stieg Leon hinauf, dem Krach entgegen, und Stufe für Stufe wuchs sein Zweifel, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Nicht nur das Dröhnen, Schaben und Stampfen – auch die Vibrationen wurden stärker.
    Aber die Angst vor dem Irrationalen hinter ihm und die Hoffnung auf ein Entkommen aus diesem Dunkellabyrinth trieben ihn voran.
    Der Weg nach oben erschien ihm instinktiv aussichtsreicher als der Verbleib im Keller.
    Seine Arme schmerzten und wurden mit jedem Klimmzug schwerer, dennoch zwang er sich, sein Tempo beizubehalten und steigerte es sogar, bis er gegen die Decke des Schachts stieß.
    Vor Schreck hätte er fast die letzte Sprosse losgelassen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er nach unten zurück in die Dunkelheit gefallen wäre. Wenn der Schacht in etwa so tief war wie der, den er hinter seinem Schrank entdeckt hatte, hätte er sich aus dieser Höhe das Rückgrat oder das Genick gebrochen. Vermutlich beides.
    Hätte das Hindernis, auf das er geprallt war, nicht etwas nachgegeben, wäre der Stoß mit dem Kopf um einiges schmerzhafter gewesen.
    Langsam, ohne den sicheren Halt zu verlieren, streckte Leon die linke Hand nach oben, aber die Platte, die wie ein Deckel auf dem Schacht zu sitzen schien, war schwer.
    Also machte Leon einen Buckel und kletterte noch weiter hinauf, um den Verschluss mit dem Druck der Schultern anzuheben, was ihm tatsächlich gelang.
    Er stemmte sich Zentimeter um Zentimeter voran und hatte das Gefühl, einen Kohlesack auf dem Rücken zu tragen. In Wahrheit öffnete er eine Falltür, die mit einem lauten Scheppern zur Seite kippte, als Leon in den Raum kletterte.
    Optisch gab es keine große Veränderung. Wo immer er jetzt war, es herrschte weiterhin fast vollständige Dunkelheit. Nur zwei sanfte LED-Lichter schwebten am Ende des Zimmers und erinnerten ihn an die Kontrollleuchten am USB-Stick seines Laptops.
    Leon keuchte und legte sich mit dem flachen Bauch auf den Boden, der angenehm kühl war.
    Dann roch er den Duft, von dem er unten im Labyrinth nur eine Spur wahrgenommen hatte, und auf einmal wusste er, wo er war und was die vibrierenden Geräusche erzeugt hatte, die in der Sekunde, in der er die Falltür öffnete, kurz ausgesetzt hatten und nun in unverminderter Lautstärke wieder den Boden

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