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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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auf Gegenseitigkeit, auch Natalie hatte einen Narren an dem schrulligen Ehepaar gefressen, vor allen Dingen an Maria, was auf den ersten Blick verwunderlich war, da die beiden gegensätzlicher kaum sein konnten.
    Natalie wollte als Fotografin Karriere machen und als gefeierte Künstlerin die Welt bereisen, Maria war eine Hausfrau, die das Vermächtnis, das sie der Welt hinterließ, in Leon sah und nicht in einer Retrospektive im Guggenheim-Museum. Sie trug ihre Schürze so stolz wie Natalie ihre High Heels. Und während Natalie Lené in einer 20-Zimmer-Villa aufgewachsen war, hatte Maria Nader ihre Kindheit sprichwörtlich auf der Straße verbracht, in einem Wohnmobil mit ausfahrbarer Markise und Chemietoilette.
    Was die unterschiedlichen Frauen einte, waren also weder ihre Vergangenheit noch ihre Zukunftspläne, sondern der Umstand, dass beide von ihrer Umwelt falsch eingeschätzt wurden. Weder war Natalie eine oberflächliche Tussi, noch war Maria ein einfältiges Heimchen. Sie waren einfach zwei Menschen, die auf einer Wellenlänge lagen; sollten doch die anderen ihre kostbare Lebenszeit damit verschwenden, sich zu fragen, wie das möglich war.
    Sie vertrauten einander, und deshalb war es gut denkbar, dass Natalie sich an Maria gewandt hatte, wenn sie jemanden zum Reden brauchte. Trotzdem war Leon ohne große Erwartungen an das Telefonat herangegangen und hatte die Nummer auch erst heute, einen Tag nach ihrem fluchtartigen Auszug, gewählt.
    Gestern noch hatte er Stunden damit verbracht, auf einen erlösenden Anruf zu warten, und selbst immer nur ihre Mailbox erreicht, die unzähligen Male, die er Natalies Handynummer gewählt hatte.
    Heute, nachdem es immer noch kein Lebenszeichen von ihr gab, tastete er sich vorsichtig voran, indem er Menschen kontaktierte, denen er vertrauen konnte. Menschen, denen sich Natalie anvertrauen würde.
    Doch hier war er in eine Sackgasse geraten. Seine Eltern waren fort. Auf hoher See. Unerreichbar.
    Wie Natalie.
    Leon registrierte, dass er schon eine Weile nichts mehr gesagt hatte und der Anrufbeantworter die letzten Sekunden höchstens sein Atmen aufgenommen haben konnte. Verwirrt legte er auf, ohne sich zu verabschieden.
    Würden seine Eltern nach ihrer Rückkehr die unvollständige Nachricht abhören, würden sie ihn gewiss verwundert zurückrufen.
    Allerdings bezweifelte Leon, dass sie dabei so verstört wären, wie er sich gerade fühlte.
    Er wusste nicht, was mit Natalie passiert war und weshalb sie ihn so überstürzt verlassen hatte. Leon wusste nur eins: Was immer seine Eltern auch behaupten mochten – er hatte ihnen nie eine Kreuzfahrt geschenkt.

3.
    H ab ich dich geweckt?«
    »Kommt es uns Frauen auf die Länge an?«, schimpfte die schläfrige Stimme am anderen Ende. »Natürlich hast du mich geweckt, du Penner.«
    »Tut mir leid«, entschuldigte sich Leon bei Anouka.
    Sie war Natalies beste Freundin und damit Nummer zwei auf der Liste der zu kontaktierenden Vertrauenspersonen.
    Mittlerweile war es kurz vor neun Uhr morgens, aber Anouka war dafür bekannt, die Nacht zum Tag zu machen, und ließ sich grundsätzlich nicht vor dem Mittagessen in ihrer Galerie blicken. Garantiert hatte er sie aus dem Tiefschlaf gerissen. Oder aus den Armen eines ihrer zahlreichen Liebhaber, die sie regelmäßig in den Clubs der Stadt aufriss.
    Leon konnte ihren Erfolg bei Männern nicht ganz nachvollziehen, aber bekanntlich lag Schönheit im Auge des Betrachters. Die Männer, die sich von Natalies grazilem Mädchenkörper, den langen, dunklen Haaren und ihrem stets melancholischen Blick angesprochen fühlten, hatten nur wenig gemein mit den meist muskelbepackten, brustbehaarten und auf den ersten Blick etwas verlebt wirkenden Kerlen, die in einer Karaoke-Bar auf Anoukas gemachte Brüste starrten.
    »Du klingst komisch«, stellte Anouka fest. Er hörte Bettwäsche rascheln, dann nackte Füße auf Parkett tapsen.
    »Hast du was eingeworfen?«
    »Blödsinn.«
    »Ist was passiert?«
    Leon zögerte. »Ich … ich hatte gehofft, das von dir zu erfahren.«
    »Hä?«
    »Ist Natalie bei dir?«
    »Wie kommst du denn auf die Idee?«
    Wenn ihn nicht alles täuschte, hörte Leon Wasser plätschern, und so wie er Natalies beste Freundin kannte, hockte sie gerade auf der Toilette und urinierte ungeniert, während sie mit ihm telefonierte.
    »Es ist kompliziert. Ich bin etwas durcheinander, will aber jetzt nicht darüber sprechen, okay?«
    »Du willst nicht darüber sprechen und rufst mich mitten in der

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