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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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vielleicht auch, weil der Abgang noch in der zehnten Woche geschah, zusammen mit ihrer Periode, ohne dass eine Ausschabung nötig gewesen war.
    Ein Sternenkind.
    Wie glücklich war er gewesen, als sie ihre Tage nicht bekam. Sie selbst hatte ihm von den ersten Anzeichen, dem Ziehen in der Brust, der Geruchsempfindlichkeit am Morgen noch gar nichts erzählt, aus Angst, es könnte sich als Fehlalarm entpuppen. Doch dann hatte er einen Test gekauft, und die wenigen Tage nach dem positiven Ergebnis waren die schönsten seines Lebens gewesen.
    Dann kam der Morgen, an dem sie das Blut im Slip entdeckte und die Zukunftspläne sich mit der Vorfreude in Luft auflösten. Es war schrecklich gewesen, doch irgendwie, nach einer kurzen, aber intensiven Phase der Trauer, hatte sie der Vorfall am Ende noch enger zusammengeschweißt. Wenn er dieses Gefühl nicht gehabt hätte, hätte er ihr vor zwei Monaten doch nicht den Antrag gemacht.
    Und sie hatte ja gesagt!
    Die Hochzeit war etwas unorthodox gewesen, ohne Trauzeugen, Fotograf oder Blumenmädchen, einfach zum nächstbesten Termin, der beim Standesamt verfügbar gewesen war. Viele Freunde hatten überrascht, einige verärgert reagiert, aber wieso hätten sie nicht genau so heiraten sollen, wie sie sich verliebt hatten, Hals über Kopf?
    »Sie war über den Berg«, sagte Leon mehr zu sich selbst als zu Anouka.
    Dann erinnerte er sich an das Glas Wasser, öffnete die Küchentür und musste husten.
    Irgendetwas in der Luft machte ihm das Eintreten schier unmöglich. Es fühlte sich an wie dichter Qualm, aber der Rauch, der seine Kehle reizte und ihm in Sekundenschnelle die Tränen in die Augen trieb, war komplett unsichtbar.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Anouka.
    »Nichts«, hustete er, eilte mit vor den Mund gepresster Hand zum Küchenfenster und riss es auf. Erleichtert sog er die kalte, klare Luft in die Lungen.
    »Wie dem auch sei, Leon. Es geht mich ja eigentlich auch nichts an, was bei euch zu Hause los ist. Ich hatte eigentlich gehofft, du würdest mich anrufen, um mir zu erklären, weshalb Natalie in letzter Zeit so durch den Wind ist.«
    Leon rieb sich die Augen, während er sich umdrehte und nach der Quelle des Reizstoffs suchte. Sein Blick fiel auf die Mikrowelle, deren Anzeige blinkte.
    »Ich meine, ausgerechnet jetzt streicht sie die Segel. Wir stehen noch ganz am Anfang, haben letzten Monat zum ersten Mal ein Plus gemacht, und Natalie haut in den Sack. Ich versteh’s nicht.«
    Ich auch nicht, dachte Leon, öffnete die Mikrowelle und musste wieder husten. Er hatte den Ursprung des beißenden Geruchs gefunden.
    »Alles okay bei dir?«, erkundigte sich Anouka.
    Nein. Ganz und gar nichts ist okay bei mir.
    Mit spitzen Fingern griff er nach den Sportschuhen in der Mikrowelle, konnte sie aber nicht anheben. Die Gummisohlen waren mit dem Unterteller verschmolzen, und dieser Anblick weckte eine weitere Erinnerung an eine Phase, die Leon bislang für die schlimmste in seinem Leben gehalten hatte.
    Ohne sich zu verabschieden, drückte er Anouka weg und eilte aus der Küche durch den Flur in sein Arbeitszimmer. Er musste das Pappmodell des Kinderkrankenhauses, mit dem ihr Architekturbüro an der Ausschreibung des Neubaus teilnehmen wollte, etwas anheben, um die oberste Schreibtischschublade zu öffnen. Nach einigem Wühlen fand er ein abgegriffenes Notizbuch, in dem er früher die wichtigsten Telefonnummern notiert hatte. Er hoffte, dass sich der Anschluss nicht geändert hatte. Immerhin hatte er die Nummer das letzte Mal vor über fünfzehn Jahren gewählt.
    Es klingelte eine Ewigkeit, bevor der Teilnehmer abnahm.
    »Dr. Volwarth?«
    »Ja. Mit wem spreche ich bitte?«
    »Ich bin’s. Leon Nader. Ich glaube, es geht wieder los.«

4.
    D anke, dass Sie so schnell gekommen sind.«
    Dr. Samuel Volwarth quittierte Leons Gesprächsauftakt mit einem nachsichtigen Lächeln und lehnte sich entspannt im Sofa zurück. »Hausbesuche gehören nicht zu meiner Tagesroutine, aber ich muss zugeben, Sie haben mich neugierig gemacht. Wieder einmal.«
    Leon hatte den Psychiater auf dem Sprung erreicht. Dr. Volwarth wollte gerade zu einem Kongress nach Tokio aufbrechen und hatte auf dem Weg zum Flughafen einen Umweg in Kauf genommen, um bei seinem ehemaligen Patienten eine Stippvisite einzulegen.
    Während sie jetzt im Wohnzimmer saßen, wartete das Taxi unten im Halteverbot. Dennoch wirkte Volwarth völlig entspannt und aufgeräumt, genauso wie Leon ihn in Erinnerung hatte. Es war ein

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