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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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übernehmen.«
    »Was?« Bailey weiß nicht genau, was er erwartet hatte, aber das bestimmt nicht.
    »Der Zirkus braucht einen neuen Hüter«, sagt Marco. »Er treibt dahin wie ein Schiff ohne Anker. Er braucht jemanden, der ihm Halt gibt.«
    »Und dieser Jemand soll ich sein?«, fragt Bailey.
    »Ja, das wäre uns am liebsten«, sagt Celia. »Wenn du dich zu dieser Verpflichtung bereiterklärst. Wir könnten dir beistehen, und Poppet und Widget würden dir ebenfalls helfen, aber die eigentliche Verantwortung läge bei dir.«
    »Aber ich bin nichts … Besonderes«, sagt Bailey. »Im Gegensatz zu Ihnen. Ich bin nicht wichtig.«
    »Ich weiß«, erwidert Celia. »Du bist weder berufen noch auserwählt, ich wünschte, ich könnte das Gegenteil behaupten, aber das kann ich nicht. Du bist zur rechten Zeit am rechten Ort, und du bist gewissenhaft genug, um das zu tun, was getan werden muss. Manchmal reicht das schon aus.«
    Als Bailey sie im Flackerlicht mustert, fällt ihm auf, dass sie weit älter ist, als sie wirkt, und dasselbe gilt für Marco. Es ist so ähnlich wie die Erkenntnis, dass jemand, den man auf einem Foto sieht, nicht mehr so jung ist wie zur Zeit der Aufnahme und deshalb nun weiter entfernt scheint. Auch den Zirkus empfindet er als weiter entfernt, obwohl er mittendrin steht. Als würde er von ihm abfallen.
    »Na gut«, sagt Bailey, doch Celia hebt ihre transparente Hand, um ihn vor einer übereilten Zusage zu bewahren.
    »Einen Moment noch«, sagt sie. »Das hier ist wichtig. Ich möchte, dass du etwas hast, was uns beiden versagt blieb. Ich möchte, dass du die Wahl hast. Du kannst unserem Vorschlag zustimmen – oder gehen. Du bist nicht dazu verpflichtet, uns zu helfen, und du sollst auch nicht das Gefühl haben, du wärst es.«
    »Und was passiert, wenn ich gehe?«, fragt Bailey. Celia schaut Marco an, bevor sie antwortet.
    Sie mustern sich nur, aber so innig vertraut, dass Bailey den Blick abwendet und nach oben in die knorrigen Baumäste starrt.
    »Dann wird er nicht überdauern«, sagt Celia nach einer Weile. »Ich weiß, das ist viel von dir verlangt, aber ich habe sonst niemanden, den ich fragen könnte.«
    Plötzlich fangen die Kerzen auf dem Baum an, Funken zu sprühen. Einige ersterben, die hellen Flammen werden zu Rauchkringeln, die bald ebenfalls vergehen.
    Celia schwankt, und einen Augenblick lang glaubt Bailey, sie könnte in Ohnmacht fallen, aber Marco hält sie fest.
    »Celia, Liebste«, sagt er und streicht ihr übers Haar. »Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne. Du hältst noch eine Weile durch, das weiß ich genau.«
    »Es tut mir leid«, sagt Celia.
    Bailey ist sich nicht sicher, ob sie mit ihm oder mit Marco spricht.
    »Es gibt nichts, was dir leidtun muss«, sagt Marco.
    Celia klammert sich an seine Hand.
    »Was würde mit euch beiden passieren, wenn es den Zirkus … nicht mehr gäbe?«, fragt Bailey.
    »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht genau«, sagt Celia.
    »Nichts Gutes«, murmelt Marco.
    »Und was muss ich tun?«, fragt Bailey.
    »Du musst etwas zu Ende bringen, das ich angefangen habe«, sagt Celia. »Ich … ich habe ziemlich impulsiv reagiert und meine Karten in der falschen Reihenfolge ausgespielt. Und jetzt kommt noch das Problem mit dem Feuer dazu.«
    »Das Feuer?«, fragt Bailey.
    »Stell dir den Zirkus als Maschine vor«, sagt Marco. »Das Feuer versorgt sie mit Energie.«
    »Zwei Dinge müssen erledigt werden«, sagt Celia. »Als Erstes muss das Feuer wieder angezündet werden. Das wird … den halben Zirkus mit Energie versorgen.«
    »Und was ist mit der anderen Hälfte?«, fragt Bailey.
    »Das ist etwas komplizierter«, sagt Celia. »Ich trage sie bei mir. Und ich müsste sie dir übergeben.«
    »Oh.«
    »Dann würdest du sie bei dir tragen«, sagt Celia. »Ständig. Du wärst sehr eng an den Zirkus gebunden. Du könntest zwar weggehen, aber nicht für einen längeren Zeitraum. Ich weiß nicht, ob du ihn jemand anderem übergeben könntest. Er würde dir gehören. Für immer.«
    In diesem Moment wird Bailey das ganze Ausmaß der Verpflichtung bewusst, die er eingehen soll. Hier geht es nicht um ein paar Jahre in Harvard. Diese Verpflichtung wäre noch größer als die Verantwortung für die väterliche Farm.
    Er schaut von Marco zu Celia, und der Blick in ihren Augen sagt ihm, dass sie ihn gehen ließe, wenn er sie darum bäte, ganz gleich, was das für sie und Marco oder für den Zirkus bedeuten würde.
    Ein ganzer Katalog von Fragen geht ihm durch

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