Der Nächste, bitte! 13 Morde fürs Wartezimmer
Straße begegnete. Eine für ihn ungewöhnliche Zeit, zu der er sonst nie zu Hause war. Mirja überwand ein weiteres Mal ihren Groll und winkte ihm zu. Wingensee, der gerade in seinen Wagen steigen wollte, winkte zurück und hielt inne, als er sah, dass Mirja auf ihn zulief. „Ist nicht Ihre Zeit, Herr Wingensee. Haben Sie Urlaub?“ Wingensee winkte ab. „Wenn es das wäre. Nein, nein. Ich bin auf dem Weg zu einem Begräbnis. Ein ganz tragischer Fall. Eine liebe Arbeitskollegin ist plötzlich verstorben, vermutlich an einer Lebensmittelvergiftung. Momentan steht unsere Kantine unter Verdacht. Zwei weitere Kollegen sind noch im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Übrigens: Ihr Pflaumenmus – ganz phantastisch! Ich durfte ja nichts davon probieren, ich leide unter einer Blausäureallergie, wissen Sie? Aber meine Arbeitskollegen haben sich darüber hergemacht – es blieb nicht ein bisschen übrig! Großes Lob an die Köchin!“ Mirja schluckte. „Ich bringe Ihnen bei Gelegenheit das Glas zurück. Kann aber noch etwas dauern. Momentan ist alles konfisziert, was mit Lebensmitteln zu tun hat, in unserer Abteilung.“ Mit diesen Worten stieg Wingensee in seinen Wagen und fuhr davon.
„Mist!“, entfuhr es Mirja. „Großer Mist!"
„Der Nächste, bitte!“
Das freundlich auffordernde Lächeln der Krankenschwester erstarb. Der Mann, den man gerade an Schwester Lona vorbei auf einer Bahre in die Notaufnahme schob, war nicht in der Lage, ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Oh weh – das sah gar nicht gut aus!
„Was ist mit ihm passiert?“, raunte eine Kollegin, Schwester Lona hob ratlos die Schultern. „Ich kenne seine Geschichte noch nicht…“
Revanche
Einer plötzlichen und nicht erklärbaren Intuition folgend, setzte sie sich senkrecht im Bett auf. Sie konnte nicht ausmachen, wie lange es her war, seit sie die Augen aufgeschlagen hatte. Jetzt starrte sie in die Dunkelheit.
Dabei versuchte sie, ihre Gedanken zu sortieren, einen weiteren Moment später erst schaltete sie das Licht ein. Ohne nachzusehen wusste sie, dass der Platz neben ihr leer war. Sie fühlte Übelkeit aufsteigen und kämpfte dagegen an.
Dann stand sie auf. Ein kurzer Blick in jeden Raum der Wohnung verschaffte ihr die Gewissheit, dass er das Haus verlassen hatte. Erleichterung stellte sich ein. Er war tatsächlich gegangen. Endlich.
Doch dann wurde ihr schlagartig bewusst, warum sie vor wenigen Minuten so plötzlich aus dem Schlaf gerissen worden war. Wieder tauchten die Bilder aus ihrem Unterbewusstsein vor ihrem inneren Auge auf. Jetzt war es Panik, die sie ergriff. Hastig betrat sie das Kinderzimmer und spürte es sofort: Ihr Kind war nicht hier.
Sie schlug die Hände vors Gesicht und unterdrückte einen Schrei.
***
„Gründe zu gehen, hatte ich viele. Wenn da nicht die Kleine gewesen wäre, wissen Sie? Wenn Kinder im Spiel sind, dann überlegt man sich so etwas mehr als einmal. Und mehr als einmal bleibt man doch. Weil man es den Kindern nicht zumuten möchte, sie aus dem Schlaf zu reißen, aus ihrer gewohnten Umgebung, und ... aus ihrem ganzen bisherigen Leben.“
Die Polizeipsychologin nickte und schob der aufgeregten jungen Mutter eine dampfende Tasse Tee zu. „Trinken Sie etwas. Das wird Ihnen gut tun.“
„Danke.“ Lena umschloss die heiße Tasse mit beiden Händen, versuchte damit das Zittern ein wenig zu unterdrücken. Ihre Unterlippe bebte. Auch wenn sie sprach. „Das war die Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe: Besser keinen Vater - oder einen Vater um jeden Preis?“
Die Tür wurde geöffnet. Ein Polizist in Zivil streckte den Kopf herein: „Alles klar? Können wir gleich beginnen?“
„Einen Moment noch bitte? Frau Braun trinkt noch ihren Tee.“ Die Psychologin warf dem Beamten einen Blick zu, der keinen Widerspruch duldete, und er verstand.
„Wenn Sie dazu in der Lage sind, dann können Sie dem Kommissar gleich erzählen, was passiert ist. Setzen Sie sich nicht unter Druck, und ich werde dafür sorgen, dass auch kein anderer das tut. Erzählen Sie einfach, woran Sie sich erinnern.“
Lena Braun nickte. „Er hat zwei Gesichter, wissen Sie? Das, welches er nach außen präsentiert, ist freundlich, stets hilfsbereit, treu sorgend. Aber ich habe auch das andere Gesicht gesehen. Immer wieder. Das, vor dem ich große Angst habe. Dann war er mir so fremd …“ Sie zögerte, und die Psychologin nutzte den Moment, um eine Frage zu stellen: „Sie sprechen von Angst. Hatten Sie
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