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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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Atmas. Erst die Reichen, die einflussreichen Familien, die
    Geschäftsleute, die Intellektuellen, die Oberschicht, die Mittelschicht, zuletzt, wenn möglich, die breite Masse. Es war deutlich zu spüren, das Programm
    begann auch auf Bali zu greifen, nicht so rasch und nachhaltig wie in Jakarta und Yogya, aber doch spürbar. Der Geist der Liga begann allmählich die Dörfer
    zu erreichen, wurde von den Jugendlichen dort diskutiert. Das Missionszentrum lockte sie mit Videos, Musikkassetten und Computerkursen, mit
    Satellitenfernsehen, Comics und westlichen Magazinen. Dagegen waren christliche Missionen Orte gähnender Langeweile. Die Alten würden aussterben, die
    Jungen aber würden sich über kurz oder lang der Liga zuwenden.
    Auch die Kurzvorträge der Akademiestudenten, die nun folgten, dienten einem ganz bestimmten Zweck, obwohl sie gewöhnlich einschläfernd wirkten. Sie wurden
    weltweit in gleicher Reihenfolge abgehalten, bestanden aus knappen Darstellungen von Geschichte, Organisation, Schulungsprogramm und anderen Aspekten der
    Liga. Sie dienten dem Vortragstraining für die Missionsgäste, waren bloße Rhetorikübungen, aber das war in Ordnung. Man hatte den Zuhörern vor der Pause
    eingeschärft – schaut euch diese klugen jungen Menschen an, die an den Akademien der Liga erzogen werden; so gut aussehen, so elegant gekleidet sein und so
    schön sprechen könnten eure Kinder später auch einmal, wenn ihr euch der Liga anschließt. Schließlich gibt es Stipendien für besonders begabte und
    hoffnungsvolle Kandidaten. Nur die Liga öffnet euch den Weg in den goldenen Westen.
    Sally, eine flachsblonde, pummelige Akademiestudentin aus den Staaten in grauem Sommerkostüm und hohen Absätzen, begann den zweiten Teil des
    Vortragsprogramms. Dan schickte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sie nahm das Mikrofon mit der den Amerikanern selbstverständlichen Lässigkeit, begrüßte die
    Menge mit freundlichen Floskeln und kam zielstrebig zum Thema: Die Geschichte der Liga. I Gede, der am Rand der Bühne auf einem Barhocker saß, übersetzte
    ins Balinesische. Dan ärgerte sich bei jedem Vortrag, dass man noch immer von der Bühne aus übersetzen musste, obwohl die Liga eine Simultananlage in das
    Bankettgebäude eingebaut hatte. Aber die Leute hier waren einfach nicht an die Kästchen mit den Ohrhörern zu gewöhnen, wussten nichts mit ihnen anzufangen
    und waren kaum zu beruhigen, wenn aus den Geräten jemand in balinesisch zu sprechen begann. Sie glaubten, sie würden Radio hören und vermochten nicht den
    Bezug zwischen dem Sprecher auf der Bühne und der Übersetzung im Kopfhörer herzustellen. Jedes Mal, wenn sie die Simultanübersetzung ausprobiert hatten,
    war es zu erregten Gesprächen im Saal gekommen, nachdem es vorher schon eine Geduldsprobe gewesen war, den Leuten die Funktionsweise der Geräte zu erklären
    und jedem seinen Hörer ins Ohr zu stecken. Also war man zu der altbewährten Art zurückgekehrt, die Sprecher Satz für Satz auf der Bühne zu dolmetschen, ein
    Prinzip, das jeder Dorfjunge von den Schattenspielen kannte, in denen die Götter und Dämonen in einem vergessenen altjavanischen Dialekt parlierten und von
    ihren Dienern und Spaßmachern am Rand des Schattenspielschirms in die Landessprache übersetzt wurden. Diese Art der Übersetzung zog die Vorträge natürlich
    in die Länge. Den Leuten schien das nichts auszumachen. Sie hatten Zeit im Überfluss. Ihre Schattenspiele zogen sich bis zum Morgengrauen hin.
    Sally nahm sich die Anweisungen Putnams zu Herzen. Sie zwang ihren mahlenden amerikanischen Tonfall zur Mäßigung, bremste das Tempo ihrer Rede, damit der
    Übersetzer nicht rückfragen musste und auch die Balinesen im Saal, die etwas Englisch beherrschten, sie verstehen konnten. Putnam schaltete ab. Er hatte
    die Geschichte der Liga von unzähligen Vortragenden auf unzähligen Bühnen gehört. Seine Gedanken schweiften, während Sally sprach. Sie war eine linientreue
    Studentin, empfohlen von ihrem Lirep, und hatte sich während ihrer Zeit hier als hoch motivierte, den neuesten Richtlinien der Liga-Führung ergebene
    Mitarbeiterin erwiesen, der es niemals einfallen würde, die Missionsarbeit zu kritisieren, wie dieser Aron es getan hatte und vor ihm sein arroganter
    Freund Ben. Man konnte Sally reden lassen. Keines ihrer Worte würde nur im geringsten von der offiziellen Linie der Liga abweichen. Sie war der Prototyp
    des properen, strahlenden, gut erzogenen und intelligenten Liga-Girls,

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