0445 - Der Mann, der meinen Tod befahl
Seit dreizehn Minuten kannte ich die Stunde meines Todes.
Der Gangster George Humbly hatte diese Stunde für mich bestimmt.
Ich führte drei Telefongespräche und kritzelte einige Zeilen auf ein großes Kalenderblatt, das ich in einen Umschlag steckte.
Das Telefon klingelte.
Ich nahm den Hörer auf und meldete mich. Unsere Zentrale hatte bereits durchgestellt.
»Hallo, Cotton, hier ist die Werkstatt, Lawrence«, sagte eine dunkle Stimme, »Ihr Wagen ist fertig. Er steht bereits in der Hochgarage. Es ist alles okay.«
»Danke, ich bin schon unterwegs, um ihn abzuholen«, antwortete ich und hängte ein.
Am Morgen hatte ich meinen Wagen in die Werkstatt gebracht, um die Kupplung reparieren zu lassen. Das stimmte. Aber der Anrufer war nicht Lawrence.
Dieses Telefongespräch gehörte zu Humblys Mordplan.
Ich tauschte meine Dienstpistole gegen einen Revolver. Ein G-man in meiner Situation brauchte keine Kugeln. Stattdessen steckte ich Platzpatronen in die Trommel.
Ich stand auf, nahm den Umschlag und legte ihn auf den Schreibtisch meines Freundes Phil.
Mein FBI-Kollege und Freund ließ sich seit zehn Tagen in der Sonne Floridas schmoren.
Die Innenfläche meiner rechten Hand war feucht, als ich an der Garderobe nach meinem Hut griff und ihn auf den Kopf stülpte. In der Tür unseres Offices drehte ich mich noch einmal um. Auf meinem Schreibtisch herrschte eine Ordnung, wie sie sonst nur Pensionäre zu hinterlassen pflegen.
Die Sonne blendete, als ich auf die 69. Straße Ost trat.
Es war Dienstagnachmittag, fünf Uhr zweiunddreißig.
Bis zur Hochgarage brauchte ich sieben Minuten. An der Kasse saß Mr. Benjus. Er lächelte, als er mich kommen sah, und griff nach meinen Autoschlüssein, bevor ich mich ins Schalterfenster bückte.
»Hallo, Mr. Cotton«, sagte er mit einer ewig heiseren Stimme, »schon so früh Feierabend?«
Ich nickte.
»Ihr Wagen steht im neunten Stockwerk. Platz 916«, sagte er und händigte mir die Autoschlüssel aus.
Die Hochgarage, besaß drei Lifts. Alle drei Körbe waren irgendwo zwischen dem ersten und dem 26. Stockwerk. Ich drückte auf einen Rufknopf und mußte zwei Minuten warten, ehe der hellerleuchtete Kasten unten ankam. Ich stieg ein und drückte den Knopf für das neunte Stockwerk. Mit einem leisen Surren setzte sich der Lift in Bewegung.
Ich spürte ganz deutlich, wie sich auf meiner Stirn winzige Schweißperlen bildeten. Mit einem sanften Ruck hielt der Lift. Ich stieß die Glastür auf und setzte meinen Fuß auf den rissigen Betonboden.
Meine Schritte hallten von den Wänden zurück. Rechts und links stand eine Reihe chromglitzernder Straßenkreuzer.
Schon sah ich meinen roten Jaguar, der auf Hochglanz gebracht worden war. Nur noch fünfzehn Schritte trennten mich von ihm.
Meine Nerven waren angespannt wie die Tragseile der Verrazano-Bridge. Plötzlich spürte ich, daß jemand hinter mir war, obgleich ich keine fremden Schritte gehört hatte.
Ich wirbelte herum und starrte in eine Pistolenmündung, auf der ein Schalldämpfer steckte. Die Waffe lag in der Faust eines elegant gekleideten Burschen, der die untere Gesichtshälfte durch ein Tuch verdeckt hatte.
Der Gangster weidete sich einen Herzschlag lang an meiner Überraschung, ehe er genüßlich sagte:
»Stop, G-man, keine falsche Bewegung, oder ich pumpe dich voll Blei. Deine Chancen sind gleich Null.«
***
Die große elektrische Uhr im Haupteingang der Ringly Company auf der 48 Straße West zeigte auf fünf Uhr siebenunddreißig, als ein Mann mit Spitzmausgesicht und tief in den Höhlen liegenden Augen das Bürohaus betrat. Er war mit einem verwaschenen Trenchcoat bekleidet und trug einen Filzhut, der aus einer Mülltonne zu stammen schien, auf dem Kopf.
Auffällig an diesem Besucher war eine hellgelbe Aktentasche, die er mit der linken Hand gegen die Brust drückte. Mit hastigen Bewegungen wich er den Leuten aus, die das Bürohochhaus verließen.
Der seltsame Besucher schlängelte sich zu einem Lift und stieg ein.
Genau drei Minuten später betrat er den Erfrischungsraum, der vorwiegend für Angestellte des Bürohochhauses eingerichtet war. Er steuerte auf den Tisch Nr. 27 zu, der in einer Ecke stand und nicht besetzt war.
Der Mann legte seinen Hut auf einen Stuhl und nahm Platz. Mit der rechten Hand stellte er die Aktentasche zwischen die Beine. Als eine rothaarige Serviererin an den Tisch trat, kam ein Duft von süßlichem Parfüm ihr voraus.
»Eine Tasse Kaffee«, sagte der Mann in einem gepflegten
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