Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
waren oder weil sie von Geschenken gehört hatten, die es in der Mission zu holen
gab. Selten nur ließen sich unter diesen Leuten Mitglieder rekrutieren. Die Geschäftsmänner aus Denpasar und den touristisch erschlossenen Dörfern waren
leichter zu gewinnen; man lockte sie mit Erfolgsschulungen, verschaffte ihnen Verbindungen, begehrte Handels- und Tourismuskontakte nach Europa und
Amerika, band sie ein als winzige Rädchen in das Netz wirtschaftlicher Macht, das die Liga gesponnen hatte. Aber es ging auch darum, die Masse zu
erreichen. Das Hauptquartier wollte Zählbares sehen, Erfolgsberichte, Steigerungsraten. Es gab Sonderkonditionen für die Dritte Welt. Der Mitgliedsbeitrag
konnte in bestimmten Fällen auf einen bloß symbolischen, auch der ärmsten Familie erschwinglichen, reduziert werden. Es gab Gutscheine für kostenlose
Musterbrecher-Schulungen und andere Lockmittel. Geld war nicht das Problem, doch es war schwierig, die Leute aus den Bindungen an ihre alten
Glaubensvorstellungen zu lösen. Am besten schien das zu gelingen, wenn man gar nicht erst einging auf ihren kulturellen Hintergrund, wenn man ihnen das
glatte, professionelle, westliche Geschäftsgebaren vorführte und ihnen zu verstehen gab, dass auch sie so sein könnten, wenn sie sich nur der Liga
anvertrauten, dass die Liga der rascheste Weg für sie war zu Wohlstand, Erfolg und einem besseren Leben. Und da kamen immer wieder weltfremde Besserwisser
von den Liga-Akademien und faselten von Bewahrung kultureller Identität. Dan schüttelte den Kopf. Sein Bericht über die arrogante Journalistin und den
Schwärmer aus der deutschen Liga-Akademie war gestern per Fax an das Hauptquartier und an Crapp abgegangen, gleich nachdem die Truppe von ihrer nicht
genehmigten Expedition ins Landesinnere zurückgekehrt war. Tempelfeste! Rituale! Welchen Eindruck machte es auf die Einheimischen, wenn sich Atmas höherer
Ränge für primitive Kulte interessierten und die Balinesen in ihrem Aberglauben bekräftigten? Es war immer der gleiche Ärger mit den Leuten und ihren
verstiegenen Vorstellungen von dieser Insel. Sollten sie gefälligst als Touristen kommen, nicht als Missionshelfer. Aber irgendwann würde dieser Ärger für
ihn vorbei sein. Das Hauptquartier musste ihn bald für eine Führungsposition in einem westlichen Zentrum berücksichtigten, wie man ihm vor seiner
Versetzung auf diesen ungemütlichen Außenposten versprochen hatte. Vielleicht gab gerade dieser Abend mit einem gefüllten Saal den entscheidenden
Ausschlag.
Dan betrachtete die Journalistin, die unbeteiligt in der ersten Reihe saß und Notizen in ein Büchlein schrieb. Es schien ihr nicht zu passen, dass man
eigens für die
Wahrheit
eine solche Veranstaltung arrangiert hatte. Aber natürlich kam sie nicht umhin, darüber zu berichten. Der Fotograf war in
Ordnung, aber er musste sich den Launen dieser Kratzbürste beugen. Ihm schien die Veranstaltung Spaß zu machen, die überwältigende Freundlichkeit der
einheimischen Atmas, die jeden Gast in Entzücken versetzte. Er würde Judith beschwichtigen, wenn sie Kritik üben wollte an der Mission. Aber welche Kritik
gab es da? Alles war nach Plan verlaufen. Der erste Teil mit den Vorträgen über die Grundlagen der Lehre, über die Weltkultur, die Spiritualisierung des
Planeten und all die anderen vorrangigen Dinge, war vorschriftsmäßig über die Bühne gegangen. Das Publikum war geblieben. Die Geschenke gab es erst
hinterher, wenn Judith und Mark schon draußen im Garten waren bei dem Empfang für die balinesischen Atmas. Außerdem wussten seine Leute, wie man das
Interesse der Zuhörer hier weckte, mit kleinen Geschichten und Parabeln, mit Witzchen, über die dankbar gelacht wurde und mit geschickt eingeflochtenen
Versprechungen über den persönlichen Nutzen, den eine Mitgliedschaft in der Liga jedem einzelnen bringen konnte. Natürlich waren Dinge wie Weltkultur und
Spiritualisierung den Leuten hier zu hoch. Die Probleme der Welt passten nicht in ihren Horizont, der nur von einer Seite des Reisfeldes zur anderen
reichte. Umso mehr horchten sie auf, wenn es um Vergünstigungen und Chancen ging, die ihnen winkten, um den Wohlstand der Länder, aus denen die Liga kam,
um all die Annehmlichkeiten, um die sie die Fremden aus dem Westen beneideten. Das Hauptquartier hatte klare Anweisungen für Präsentationen in der Dritten
Welt ausgearbeitet, einen geschickten und durchdachten Leitfaden für die Neugewinnung von
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