Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
allein. Alle sahen
nur den Mahaguru, zehrten an seiner Energie. Er hat mich gebraucht. Ich hatte solches Mitgefühl mit ihm.“
Ich fürchtete, John würde sich auf seine Frau stürzen. Ich machte mich bereit, einzugreifen, aber John wandte sich wortlos ab. Dawn brach in Tränen aus.
Jason hatte während des Liebesspiels einen Herzinfarkt erlitten. Erst nach einer Weile hatte Dawn sich so weit gefasst, dass sie John anrufen konnte. Es
gelang uns, die Sache zu vertuschen. Wir brachten Dawn auf ihr Zimmer und verständigten die anderen.
Eine Erklärung war rasch gefunden. Dawn sei von bösen Träumen gehetzt aus dem Schlaf geschreckt und, einem Ruf der uralten Adepten folgend, aus dem Zimmer
gelaufen. Sie habe Jason tot auf seinem Bett gefunden. Dawn, die sich in eine weiß gewandete Fee zurückverwandelt hatte, stand schweigend dabei, mit
bebenden Lippen, mechanisch nickend. Selbst John ließ sich nichts anmerken. Er besprach mit einem Arzt, der zugleich mit der Polizei eintraf, den Vorfall.
Eine Routineangelegenheit ohne alle Unregelmäßigkeiten.
Noch in der gleichen Nacht erzählte ich Ted, was wirklich vorgefallen war. Es schien ihn nicht zu überraschen. „Dawn in Strapsen und High Heels. Das hätte
ich gerne gesehen.“ Er lachte bitter. „Und jetzt? Lassen wir alles auffliegen? Die gute Arbeit von Jahren. Stellen wir uns in vier Wochen auf die Bühne des
Hauptseminars und verkünden den Atmas: ,Mahaguru Howard Jason ist von uns gegangen, während er es mit der Frau eines seiner engsten Schüler trieb.’ Oder
machen wir weiter? Sehen wir großzügig über diese menschliche Schwäche hinweg und lernen wir daraus, dass der Mahaguru neben seinem Lichtkörper auch einen
aus Fleisch hat, der manchmal nach seinem Recht verlangt. Hatte nicht sogar Jesus seine Maria Magdalena? Haben wir nicht alle unsere Macken? Was ist schon
dabei? Ich steh’ auch auf hübsche Mädchen in Strapsen und hohen Absätzen. Vielleicht sollte ich Jasons Nachfolger werden.“
Wir fanden John alleine an der Hotelbar.
„Wie geht es Dawn?“
„Sie schläft.“
„Und dir?“
John galt als persönlicher Freund Jasons. Seine Stellung als Arzt und Leibwächter des Mahaguru hatte sich zu enger Freundschaft entwickelt.
„Ich wusste, dass sie eine Affäre mit Howard hat. Unsere Ehe steckt seit Langem in der Krise. Dawn ist Künstlerin, hypersensibel, überempfindlich. Es ist
nicht leicht mit ihr. Als Jane ein Verhältnis mit einem anderen anfing, vor ungefähr einem halben Jahr, war es vielleicht am besten, dass Dawn sich um
Howard kümmerte. Er war sehr depressiv deswegen, hätte es fast nicht verwunden. Dawn war oft bei ihm, um für ihren Roman zu recherchieren. Ich habe es
geduldet.“
John schüttete seinen Kummer in dürren Worten vor uns aus.
„Die Lehre der Liga ist gut, das Hju, die Trainings. Das ist unabhängig von der Person des Mahaguru,“ sagte er, „es gibt Tausenden Hilfe und Halt. Wir
dürfen das nicht wegen persönlicher Probleme aufgeben.“
„Wie soll es weitergehen?“
„Wir müssen mit Jane sprechen. Rob hat sie vorhin angerufen. Sie kommt morgen mit der ersten Maschine.“
John wäre ein würdiger Nachfolger Jasons gewesen. Ted und ich beschlossen, Jane diesen Vorschlag zu machen. Die Liga hätte einen völlig anderen Weg
genommen, wäre John Mahaguru geworden. Vielleicht wäre sie tatsächlich den Idealen nahegekommen, die wir in sie projizierten, vielleicht wäre es gelungen,
die unsichtbare Schattenmacht abzuschütteln.
Ted und ich holten Jane vom Flughafen ab. Sie wirkte gefasst, erledigte die Formalitäten bei den Behörden mit geschäftsmäßiger Nüchternheit. Natürlich
bekam sie nur die offizielle Version über Jasons Tod zu hören. Als Ted erwähnte, dass Dawn Jason gefunden hatte, flog ein abschätziges Lächeln über ihr
Gesicht.
Jane war aufgeblüht, seit ich sie zuletzt gesehen hatte. Sie trug ein Chanelkostüm, das sie von der letzten Europatour mit Howard mitgebracht hatte und
bewegte sich mit eleganter Selbstsicherheit, die ich nie an ihr bemerkt hatte. Jane nahm die Beileidsbezeugungen mit reserviertem Ernst entgegen. Sie
machte nicht den Eindruck einer trauernden Witwe, sondern den einer Geschäftsfrau, die eine verworrene Situation zu lösen hat. Sie bestimmte, dass die
Leiche Jasons verbrannt und die Asche an einem unbekannten Ort beigesetzt werden sollte.
„Sein Grab darf nicht zum Wallfahrtsort werden. Howard hat mich vor wenigen Wochen instruiert, was im
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