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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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sich nicht an den Gesetzen und Bürgerrechten messen ließen, die für Menschen außerhalb der Liga
    galten. In diesem Augenblick wurde Aron bewusst, welche Macht die Liga über die Atmas besaß. Sie wurden beherrscht durch bedingungslosen Gehorsam unter
    einem Kodex geschriebener und ungeschriebener Gesetze und durch Angst vor dem geringsten Verstoß dagegen. Würde Aron jetzt protestieren, sie würden ihn
    selbstverständlich sofort gehen lassen, zugleich aber würde ihr Bericht über seine mangelnde Kooperation sein Fortkommen in der Liga zum Stillstand
    bringen. Obwohl sich alles in ihm sträubte, hielt Aron es für besser, sich zu fügen.
    Die Ethik-Hüterin schien seine Gedanken zu erraten. „Es ist wirklich nur Routine,“ sagte sie. „In letzter Zeit kommt ziemlich viel subversives Material aus
    Asien. Afrika und Südamerika sind relativ clean, in Asien aber brodelt es noch immer.“
    Es war absurd. Wer Material gegen die Liga ins Land bringen wollte, brauchte es nur mit der Post an jemanden zu schicken, der nicht im Wohnheim der
    Akademie lebte. Schließlich war es kein Rauschgift.
    „Außer schmutziger Wäsche habe ich nichts Unreines dabei,“ entgegnete Aron trotzig.
    „Aber es ist doch schön, vom Flughafen abgeholt zu werden,“ bemerkte der EH, der den Gepäckwagen schob. „Nimm es als Service, den die Liga den Heimkehrern
    von der Mission bietet. Wie war die Reise?“
    „Angenehm und interessant,“ antwortete Aron und spürte, wie ein Automatismus in ihm den heiteren, ligaüblichen Tonfall hervorbrachte.
    Während der Fahrt zum Liga-Zentrum fiel kein Wort. Trotz seiner Nervosität schwebte Aron auf schwankendem Grat zwischen Wachen und Träumen. Der Wagen
    passierte eine Zufahrt zum Liga-Zentrum, die Aron nicht kannte, eine Schranke, die sich in einer Nebenstraße vor einer Tiefgarage öffnete. Sie fuhren im
    Lift zur Etage des Lirep. Seine Begleiter führten Aron in ein Besprechungszimmer und ließen ihn alleine. Das Gepäck blieb im Nebenraum. Aron starrte aus
    dem Fenster. Ein kalter, regnerischer Tag hing über der Stadt. Wenn Aron die Augen schloss, konnte er das seidige Blau des Himmels über Bali sehen, die
    heiße, fast flüssige Luft über dem Rollfeld des Flughafens spüren. Endlos fern war das jetzt, obwohl es nur Stunden zurücklag, obwohl er seinen Kopf
    seither nicht mehr zum Schlafen niedergelegt hatte. Er fühlte die Müdigkeit, die in seinem Körper pulsierte, wie das Schlagen eines Hammers. Aron rieb die
    Augen. Er musste wach und klar sein, wenn man ihm Fragen stellte. Empörung stieg in ihm hoch. Ben hatte recht: seit dem Attentat stand vieles in der
    Organisation in schroffem Widerspruch zu den Idealen des Hju. In Aron verfestigte sich der Gedanke, der ihn seit Bali begleitete – die Lehre, der Mahaguru,
    das Hju, all das war unangetastet rein, nur die Organisation drohte von ihrer eigentlichen Bestimmung abzuirren. Ben hatte so gesprochen, aber Aron hatte
    ihn nicht verstanden, hatte die Organisation mit den Argumenten verteidigt, die im
Buch der Erleuchtung
standen. Aber Ben hatte recht. Es war
    notwendig, dass der Geist echter Spiritualisierung die Machtstrukturen der Organisation durchdrang und sie zurückführte zu ihrem wahren Zweck, dem Hju und
    dem Mahaguru zu dienen. Vielleicht aber war die Organisation nur ein Mittel der Prüfung für jeden Atma, vom Mahaguru bewusst eingesetzt, um die Atmas
    reinen Herzens von jenen zu scheiden, die nur an Macht, an Positionen und Rangstufen interessiert waren.
    „Hallo Aron,“ sagte eine Stimme hinter ihm. Er fuhr herum. Ein EH kam auf ihn zu, deutete mit übertriebenen Gesten, er möge doch Platz behalten, schüttelte
    ihm die Hand. „Hattest du einen guten Flug?“ Der EH setzte sich Aron gegenüber an den ovalen Konferenztisch. Aron kannte ihn nicht, war sofort gebannt von
    den eisgrauen Augen, deren lauernder Blick nicht passen wollte zu dem Lächeln und dem plaudernden Tonfall. „Es tut uns leid, dir diese Unbequemlichkeit zu
    verursachen, aber wir haben strenge Anweisungen vom Hauptquartier. Und alles, was die Sicherheit der Liga betrifft, geht doch vor, oder?“
    „Selbstverständlich.“ Die Gedanken, die Aron eben noch aufgebracht hatten, waren fortgewischt. An ihre Stelle traten die eingeübten Muster, die allen
    Akademiestudenten im Umgang mit höheren Kreisen der Liga-Macht mühelos geläufig waren. Zwar versuchte tief in ihm etwas zu protestieren gegen seine
    Feigheit, doch die Angst vor den Konsequenzen eines

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