Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
seinen Träumereien. „Ich weiß es nicht,“ stotterte er. „Vielleicht die Hitze des Feuers, das drückende
Klima. Wir sind lange gewandert. Wir waren erschöpft.“
„Mir scheint, wir sollten Bali von der Liste der Stationen streichen, zu denen Akademieabsolventen ihre Missionsreisen unternehmen. Aber es scheinen auch
Fremde im Dorf gewesen zu sein, die nicht zur Mission gehörten. Einer von ihnen hat dich nach deiner Ohnmacht versorgt.“
„Vielleicht Touristen. Ich weiß es nicht. Wir kamen spät. Es waren so viele Menschen da. Es gibt außer den normalen Pauschaltouristen, die kaum aus ihren
Hotels herauskommen, auch viele, die individuell reisen und speziell solche Feste und Rituale sehen wollen.“
„Wer war der Mann, der dich versorgt hat?“
„Ich weiß es nicht.“ Wie selbstverständlich floss die Lüge aus Arons Mund. „Ich war zu benommen, zu verwirrt, bin gleich wieder eingeschlafen. Es war keine
schöne Erfahrung für mich.“
Der EH nickte verständnisvoll. „Habt ihr euch nicht einmal vorgestellt?“
Wenn Judith an der Hütte gelauscht hatte, war er der Lüge überführt und seine Stellung in der Liga für immer zerstört. Vielleicht wussten die EHs bereits
alles über sein Treffen mit Walt Mason. Etwas in ihm drängte, die Wahrheit hinauszuschreien und die Dinge zu wiederholen, die er in jener Nacht erfahren
hatte, die dunklen unbestimmten Beunruhigungen, die sich in ihm festgekrallt hatten und brannten wie Wunden. Das Gelbe Buch. Es wollte nicht aus seinem
Kopf. Er musste dem EH davon berichten, musste sich reinwaschen von den Lügen, in die er sich verstrickt hatte, ohne es zu wollen. Noch war es nicht zu
spät. Noch konnte er alles auf seine Verwirrung, auf die lange Reise, auf seine Nervosität schieben und mit einer milden Strafe davonkommen. Sie würden ihn
auf Deprokurse schicken, auf Zweifelbrecher-Schulungen. Das war nicht angenehm für einen Akademiestudenten, blieb aber ohne schwerwiegende Konsequenzen,
wenn dem Betroffenen echte Reue und aufrichtige Bemühung, seine Fehlhaltungen zu korrigieren, attestiert wurde. Aron schüttelte den Kopf. Er durfte jetzt
nicht schwach werden. Er dachte an Ben. Auch er hätte sich nicht gebeugt. „Es ging alles zu rasch,“ sagte er, „der Mann hat nur kurz nach mir gesehen.“
Der EH nickte. „Und niemand hat dir irgendwelches Material anvertraut, das gegen die Liga gerichtet ist?“ Er fragte mit der Routine eines Zollbeamten.
Aron schüttelte den Kopf. Vielleicht hatten sie das Tonband in seinem Zimmer gefunden. Warum sonst sollten sie ihn mit solchen Fragen belästigen? Gleich
würde ihn der EH mit seinen Widersprüchen konfrontieren, ihm das Band zeigen, ihm vorhalten, dass er gegen die Ethik der Liga verstoßen hatte, dass er ein
Lügner war, ein Verbündeter der negativen Kraft, ein Feind der Liga. Keine Deproschulung konnte ihn dann mehr retten. Aber der EH nickte mechanisch. Er
schien auf etwas zu warten. Das Telefon läutete. Er hob ab, bestätigte knapp den Empfang einer Nachricht und wandte sich an Aron.
„Ich will dich nicht länger aufhalten. Du bist müde. Ich danke dir für dein Verständnis und deine Kooperation. Ein Routinefall, wie schon erwähnt.
Anweisung aus dem Hauptquartier. Wir wissen selbst nicht, was sich in Asien zusammenbraut. Vermutlich agieren einflussreiche Liga-Feinde von dort aus.
Falls dir noch etwas einfällt, rufe uns bitte an.“
Der EH erhob sich und führte Aron zur Tür. „Doris wird dich nach Hause fahren.“ Die Ethik-Hüterin, die im Vorraum wartete, kam auf Aron zu. Die fragende
Anspannung war aus ihrem Gesicht gewichen und hatte dem Lächeln Platz gemacht, das zwischen Atmas allgegenwärtig schien.
„Lirep Peter Crapp möchte Aron gerne für einen Augenblick sehen,“ sagte sie.
Der EHdrückte Aron die Hand und kehrte in sein Zimmer zurück.
Kurz darauf blickte Aron in das in leidender Freude zerfließende Gesicht von Susan Crapp und spürte ihre glühende Wange an der seinen. „Wie schön, dass du
gesund wieder bei uns bist, Aron,“ hauchte sie. „Wir haben so oft an dich gedacht.“
Aron fühlte sich unwohl in Susans Umarmung. Es war ehrenvoll, vom Lirep und seiner Frau erneut empfangen zu werden, zugleich aber spürte er die Falschheit,
die sich hinter Susans überschwänglicher Liebenswürdigkeit verbarg. Nun, da alles in ihm aufgerührt war, glaubte er zu wissen, dass Ben recht gehabt hatte
mit seiner Meinung über den Lirep, über die EHs.
„Aron!“
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