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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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Attentat entstanden waren. Der Anschlag hatte
    Ken Andersen tief gezeichnet. Sein Gesicht wirkte steinern und unbeweglich, seine eingesunkenen Augen seltsam starr und doch strömte eine Kraft aus ihnen,
    die um ein vielfaches intensiver schien als früher. Unter den Atmas ging das Gerücht, der Mahaguru habe durch das Attentat freiwillig das Karma der Welt
    auf sich genommen und es durch sein Opfer teilweise aufgelöst. Durch diesen Akt selbstloser Hingabe sei er zu spiritueller Größe und Macht aufgewachsen,
    die nie vor ihm ein Mensch auf dieser Erde erlangt hatte. Alle wichtigen Veränderungen, die seither in der Welt geschehen waren, wurden von den Atmas
    diesem Liebesopfer des Mahaguru zugeschrieben. Aron glaubte sich von der Macht dieser Augen durchdrungen. Die Kamera erfasste ausschließlich das Porträt
    des Mahaguru, sodass sein Blick in tausendfacher Vergrößerung die Halle erfüllte. Wenn Aron daran dachte, dass er in zwei Tagen in einer Audienz alleine
    vor diesen dunkel brennenden Augen stehen würde, erfasste ihn einen Augenblick lang Panik.
    Am Abend darauf saß Aron wieder in der voll besetzten Halle. Er hatte lange vor den Eingangstoren angestanden, um einen Platz zu bekommen. Viele Atmas
    mussten auf Nebenhallen ausweichen, wo das Seminar auf Videowände übertragen wurde. Die Liga hatte strengste Sicherheitsvorkehrungen getroffen, hatte
    Scanner und Metalldetektoren vor den Eingängen installiert. Jeder Atma musste sich nach Waffen durchsuchen lassen und zuletzt an einem Ethik-Hüter
    vorbeipassieren, der regungslos, mit starrenden Augen auf einem Hocker saß und jeden der Eintretenden mit seinen Blicken zu durchbohren schien. Einige
    Atmas wussten zu berichten, dass dies speziell ausgebildete EHs seien, die Aura und Gedanken der Vorbeigehenden zu lesen vermochten. Klaglos nahmen die
    Atmas diese Maßnahmen hin, geduldig warteten sie in langen Schlangen, bis sie die Sicherheitsschleusen passieren durften. Atemlose Spannung lag über dem
    weiten Rund. Viele Atmas hielten die Augen geschlossen und sangen innerlich das Hju, um sich auf den großen Augenblick der persönlichen Begegnung mit dem
    Mahaguru vorzubereiten. Viele von ihnen hatten ihn noch nie auf der Bühne erlebt, kannten sein Gesicht nur von Fotografien und Videos. In der Zeit seit dem
    Attentat waren viele Menschen neu zur Liga gestoßen. Der Mordanschlag und das wundergleiche Überleben des Mahaguru hatte den Bekanntheitsgrad der Liga
    enorm gesteigert. Das Hauptquartier sprach von einem Quantensprung in der Entwicklung der Liga zur Weltreligion, und natürlich wussten die Atmas, dass auch
    dieser Fortschritt auf das Opfer des Mahaguru zurückzuführen war.
    Patrick Panetta, der Präsident der Liga, hielt einen einleitenden Vortrag, in dem er diese Gerüchte und Mutmaßungen zwar nicht offiziell bestätigte, sie
    durch geschickte Andeutungen und Spitzfindigkeiten aber noch schürte. Mit euphorischen Worten stimmte er das Publikum auf das Erscheinen des Mahaguru ein.
    Schließlich leitete Panetta über zum gemeinsamen Singen des Hju. Ein rollender Ton erfüllte die Halle. Auch Aron saß mit geschlossenen Lidern und stimmte
    ein in den Gesang des heiligen Mantra. Die Kraft des tausendstimmigen Klanges durchflutete ihn. Für einen Augenblick fühlte er sich emporgehoben von den
    Wogen und Kaskaden des schwebenden Tones, schwerelos, befreit von der Last seines Körpers, umgeben von einem dunkelrot glimmenden Licht. Blitzartig
    durchschoss ihn das Bild der klingenbreiten Brücke. Aron sah den sanft geschwungenen Bogen über dem Abgrund, in dem die Glut der Finsternis glomm. Sein
    Blick folgte der Wölbung der Brücke, wanderte hinüber auf die andere Seite, in die eisige Leere undurchdringlicher Nacht. Das Hju klang dröhnend wie ein
    Sturmwind aus der Dunkelheit und strömte über den Abgrund, jene lockend, die zögernd vor der Brücke standen, nicht wagten, den Fuß auf den Steg zu setzen,
    und doch von gewaltiger Sehnsucht verzehrt wurden, hinüberzugelangen in das Reich der Finsternis. Da sah Aron drüben im Dunkel des fernen Landes ein
    Augenpaar aufleuchten, als öffne die Finsternis selbst ihre Lider und blicke streng herüber zu den zögerlichen Menschen. Einen Augenblick nur flog Aron
    diese Szene durch den Kopf, begleitet von Erschrecken, einem Herzrasen, das seine Brust beengte, das den Klang des Hju in seinem Kopf drehen und wirbeln
    machte. Zugleich spürte er, wie ihn rohe Macht anrührte, ihn packte und aus dem Körper zu

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