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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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konnte. Allerdings ist dieser Stein
    einzigartig und ungewöhnlich. Als ich den Stein zum ersten Mal in Howard Jasons Besprechungszimmer sah, schienen mir die Schriftzeichen der Keilschrift der
    Sumerer zu ähneln und das dargestellte Dreieck im Kreis glich geometrischen Darstellungen, wie sie sich auf altbabylonischen mathematischen Tontafeln
    finden. Ich bin auf dem Gebiet mesopotamischer Schriften kein Experte und sah den Stein nur für wenige Augenblicke in schlechtem Licht. Dank Ihrer Fotos
    konnte ich die Inschrift genauer analysieren und stellte fest, dass sie nicht identifizierbar und keinem bekannten Schriftsystem zuzuordnen ist. Sollte der
    Stein also echt sein, woran ich nicht zweifle, stellt er eine archäologische Sensation dar – die schriftliche Aufzeichnung einer bislang unbekannten
    Kultur. Die Präzision und Feinheit, mit der die Schriftzeichen in den Stein gemeißelt und das Dreieck im Kreis als Relief herausgearbeitet wurden, lässt
    darauf schließen, dass es sich bei dieser unbekannten Kultur um eine in höchstem Maße entwickelte handelt. Wie ich meine Kollegen kenne, würden sie alles
    daransetzen, diesen Stein als Fälschung zu entlarven, denn er würde das archäologische Weltbild um eine Komponente erweitern, die man bisher als
    Spekulation von Esoterikern abtat. Wenn ich mich recht entsinne, haben auch Sie bei unserer ersten Begegnung meine Erwähnung einer hoch entwickelten
    Kultur, die der ägyptischen voranging, milde belächelt. Daher versuche ich Ihre Fragen vom Standpunkt des Archäologen zu beantworten und nicht als
    esoterischer Utopist, für den Sie mich vielleicht halten.
    Wie ich bereits erwähnte, befindet sich ein Stein in meinem Besitz, der mit großer Wahrscheinlichkeit das Gegenstück zu dem Fragment darstellt, von dem Sie
    mir Bilder schickten. Es scheint, als sei die steinerne Platte in zwei Hälften zerbrochen, die jetzt, nach vielen Jahrtausenden, wieder zusammenfinden. Nur
    ein Vergleich der beiden Originale, eine Untersuchung der Bruchstellen und der Gesteinsart, kann hier vollständige Sicherheit bringen – ich hoffe, dass
    dieser Vergleich bei unserer Begegnung möglich sein wird – aber auch anhand Ihrer Fotos habe ich keine Zweifel mehr, dass es sich so verhält. Zum einen
    scheinen die Bruchstellen der beiden Fragmente genau ineinander zu passen – natürlich nicht völlig nahtlos, da beim Zerbrechen des Steins und auch später
    Partikel abgebröckelt sind. Trotzdem ist die Zusammengehörigkeit der beiden Teile eindeutig. Eine weitere Tatsache belegt dies: Der Stein in Ihrem Besitz
    weist rechts von dem Zeichen des Dreiecks im Kreis drei ägyptische Hieroglyphen auf, die in die Bruchstelle des Steins laufen. Dieser winzige Teil einer
    ägyptischen Inschrift wird durch meinen Stein ergänzt. Die Hieroglyphen passen in jeder Hinsicht exakt zueinander und die Bedeutung der Inschrift auf
    meinem Stein wird durch die drei Hieroglyphen auf Ihrem Stein sinngerecht vervollständigt. Die drei Hieroglyphenzeichen auf Ihrem Stein stehen für ein j
    und ein t sowie ein nicht gesprochenes Determinativzeichen für „Ort“ oder „Stätte“. Dadurch ergibt die entsprechende, übrigens von rechts nach links zu
    lesende Zeile auf meinem Stein Sinn. Zusammen gelesen hat das auseinandergebrochene Wort die Lautzeichen h·t·jj·t plus das Determinativzeichen und lässt
    sich gemäß der heute üblichen Transkription als „Hetemit“ lesen. Unter diesem Begriff verstanden die Ägypter jene „Stätte der Vernichtung“, die noch
    unterhalb der Unterwelt in tiefster Urfinsternis liegt.
    Die Hieroglypheninschrift auf meinem Stein ist zwar ungewöhnlich, ohne aber das Zeug zu einer archäologischen Sensation zu haben. Sie fällt in die
    Kategorie der zahllosen Zauber- und Bannsprüche und würde vermutlich ohne weitere Beachtung als eine Laien nicht vermittelbare Kuriosität in Museumsdepots
    verschwinden. Zur Sensation wird der Stein nur in seiner Gesamtheit: Ein Zeichen mit einer Inschrift in einer nicht identifizierbaren Sprache und auf dem
    gleichen Stein ein ägyptischer Text, der offenbar die fremden Elemente mit einem Bann belegt. Die Echtheit meines Steins steht im übrigen außer Zweifel,
    obwohl sein Fundort nur vage als Karnak angegeben werden kann. Ich bin überzeugt, dass dieser Fundort in Oberägypten nicht der Ursprungsort des Steins ist,
    sondern dass er dort, im Reichstempel des Amun, dem Sitz der Macht des Neuen Reiches, als überliefertes Stück aus viel

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