Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
älteren Zeiten nur verwahrt wurde.
Der Stein gelangte durch einen Umstand, den man wunderlichen Zufall nennen könnte, vor vielen Jahren in meinen Besitz. Wenn Sie daran interessiert sind,
kann ich Ihnen die verwickelte, von seltsamen Zufällen geprägte Geschichte gerne bei unserem Zusammentreffen erzählen, ebenso meine ganz und gar nicht
wissenschaftlichen, weiterführenden Vermutungen. Ich glaube zu wissen, dass Sie heute, nach den Ereignissen, deren Zeuge Sie in der Zwischenheit waren,
mehr als nur ein Lächeln dafür übrig haben werden. Ich teile Ihnen an dieser Stelle ohne weiteren Kommentar die Übersetzung der vollständigen ägyptischen
Hieroglypheninschrift mit. Vielleicht vermag sie die eine oder andere Assoziation bei Ihnen auszulösen.
Dies ist der Mund, der Hu verdarb.
Dies ist der dunkel Brennende, der Feind des Re.
Dies ist die geheime Pforte der Hetemit.
Sein Mund ist versiegelt durch wirksamen Bann,
nie mehr spricht er den Namen der Finsternis.
Sein Zauber ist bezwungen, sein Name vernichtet,
nie mehr wird er die Lippen berühren.
Die Brücke wurde zerstört, die geheimen Tore versiegelt,
nie mehr wird die Finsternis Fleisch.
Ich bedanke mich nochmals sehr herzlich, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, diese vortrefflichen Fotos Ihres Steins zu erstellen und an mich zu
schicken. Mit den besten Grüßen
Timur Aslan.
Der vierte Brief
Lieber Walt Mason, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie durch meinen Brief über alle Gebühr neugierig gemacht habe. Sie berichten von einer dämonischen
Kraft, die Sie in dem Stein spüren, den Ihnen Dr. John Campbell übergab und der offenbar unter den Mahagurus der Liga als Insignum der Macht weitergereicht
wurde. Ich bitte Sie noch einmal, höchste Vorsicht walten zu lassen. Alles deutet darauf hin, dass die Führer der Liga erst jetzt, nach den schrecklichen
Ereignissen des Attentats, zum vollen Bewusstsein der Bedeutung dieses Steins erwacht sind und alles unternehmen werden, um wieder in seinen Besitz zu
gelangen. Sie waren so freundlich, mir eine Kopie der Tonbandaufzeichnung zu schicken, die Sie am Krankenbett von Dr. John Campbell machten. Mir scheint,
dass Dr. Campbell sterben musste, weil er die Steintafel aus der Anzugtasche des bereits toten Mahaguru nahm. Jetzt, da die dunkle Kraft, die hinter der
Liga wirkt, begonnen hat, sich zu verkörpern, ist auch das Wissen um verborgene Zusammenhänge offenbar geworden. Das steinerne Siegel spielt dabei eine
bedeutende Rolle. Es scheint wie ein Wunder, dass gerade in dem Augenblick, da es der dunklen Macht gelang, über die Brücke zu gehen (um diesen
schrecklichen Akt poetisch zu umschreiben), es dieser Macht abhandenkam, die es zu nutzen weiß. Der Mahaguru wird alles tun, seiner erneut habhaft zu
werden.
Sie bitten mich, Ihnen meine Überlegungen mitzuteilen, die über eine archäologische Bewertung des Steins hinausgehen. Bitte erwarten Sie nicht zu viel. Ich
kann Ihnen nur Gedankenfragmente und Assoziationen mitteilen. Ich will meine Fähigkeiten nicht überbewerten, doch scheint mir die Gabe angeboren, Blicke in
die tiefe Vergangenheit zu tun. Nennen Sie es Intuition, visionäre Begabung oder ähnlich. Mir scheint, dass diese Befähigung in früheren Zeiten vielen
Menschen gegeben war, dass es Methoden gab, sie zu schulen und auszubilden, um den Spuren vergangener Leben und Zeitläufte zu folgen. Mir scheint, dass
auch ich in früheren Inkarnationen dieser Kunst mächtig war und dass meine Begabung in diesem Leben ein schwaches Echo davon ist, ein unbedeutender
Nachhall, auf keinen Fall dazu angetan, meine Person über den Rang eines völlig durchschnittlichen Menschen zu heben. Ich habe aus diesem Talent nie
anderen Nutzen gezogen als den privater Forschungen und es hat mich dazu bewegt, den Beruf des Archäologen zu ergreifen, der auf sehr weltliche Weise
ebenfalls ein Läufer auf der Zeitspur ist. Ich will Sie nicht mit Einzelheiten und persönlichen Dingen belasten, die für den Fortgang der Sache unbedeutend
sind, sondern Ihnen einen groben Umriss der Zusammenhänge zeichnen, die ich glaube, in all den Jahren herausgefunden zu haben. Ich tue dies auf die Gefahr
hin, dass Sie mich für einen Fantasten halten.
Es ist schwierig, die individuelle Zeit mit der geschichtlichen in Einklang zu bringen. Wir moderne Menschen sehen alte Zivilisationen als Abfolge von
Herrschern, Kriegen, Eroberungen, Bauprojekten und Kulturschichten, die aufgrund archäologischer Funde und alter
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