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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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der Liga, über die uralten Adepten, über ihre
    Zukunftspläne als Missionare und Pioniere der Liga in fernen, noch in der Dunkelheit des Unwissens dämmernden Ländern, hier hatten sie spekuliert über die
    unergründlichen Geheimnisse im
Buch der Erleuchtung
, über die Wunder des Hju. In eitle Allüren des Auserwähltseins hatten sie sich verstiegen und
    zugleich ihre alltäglichen Belange besprochen, Ärger mit den Eltern, Probleme in der Schule, erste Liebesgeschichten. Diese offenen, tabulosen Gespräche
    bildeten die Basis ihrer Freundschaft, die viele Leben zurückreichte, wie sie einmal anhanden geheimnisvoller Hinweise im
Buch der Erleuchtung
errechnet hatten. Alles hatte sie überdauert, die Jahre des Gymnasiums, die gemeinsame Zivildienstzeit, die Trimester der Akademie, nun aber war Ben tot.
    Nichts weiter war von ihm übrig als Asche in einer Urne, als eine Fotografie, die im Liga-Zentrum auf die Abschiedszeremonie wartete.
    Für den Abend war die Feier in der Halle der Liga anberaumt. Der Lirep persönlich würde sie abhalten. Aron blickte auf die Uhr. Er musste sich beeilen.
    Etwas in ihm sträubte sich, die Zeremonie zu besuchen. Aron wollte allein sein mit seinem Schmerz, wollte sich verkriechen in seinem Zimmer oder im Park,
    sich treiben lassen im Strom der Erinnerung. Aber wie immer siegte seine Pflichttreue zur Liga, die über alles persönliche hinausging, alle eigennützigen
    Wünsche und Gefühle an zweite Stelle rückte. Das Wissen, dass er ein Atma war, ein Eingeweihter der Liga, war Zentrum seines Daseins geworden. Aron hatte
    stets gespürt, dass seiner bedingungslosen Hingabe an das Hju und den Mahaguru eine Kraft innewohnte, die alles zu überwinden vermochte, jeden Zweifel,
    jedes bequeme Nachlassen, jede Schwäche, eine klare, kompromisslose Kraft, die stetig gewachsen war in den Jahren, seit er der Liga angehörte. Er wusste,
    dass diese Kraft eines Tages ganz erblühen und ihn befähigen würde, zu den höchsten Kreisen der Einweihung vorzustoßen. Aron suchte Halt an dieser Kraft,
    der er sein Leben anvertraut hatte, sang im Stillen das Hju, das heilige Mantra der Mahagurus, doch etwas Wundes, Rohes war plötzlich in ihm, etwas, das
    rieb, während er ging, im Rhythmus seiner Schritte, die schneller wurden, fester, etwas, das die Gedanken zersplitterte, das nicht zuließ, dass sie sich um
    ihre gewohnten Ankerpunkte sammelten, das selbst das Schwingen des Hju in seinem Inneren zerstörte. Aron wollte diesen fremden Gefühlen nachspüren, aber
    sie zerrannen, als er nach ihnen griff, hinterließen unbestimmte schmerzende Dumpfheit. Ben war tot, der einzige wirkliche Freund, der kostbare
    Seelengefährte. Aron schüttelte trotzig den Kopf. Es konnte nicht sein, es war jenseits aller Vorstellung, dass Ben tot war, tot. Die Stränge der Gedanken
    verfilzten sich zu einem Gewitter gleichzeitiger Eindrücke und Bilder, bis die kühle, kantige Kassette in Arons Faust das einzig Beständige in diesem
    Wirbel wurde.
    Eine einzelne Rose als Symbol der Anwesenheit des Mahaguru stand in kristallener Vase neben einem Porträtfoto Bens. Die Bühne der Versammlungshalle war in
    weiches Dämmerlicht getaucht. Ein Strahler hob den mit dunkelblauem Samt verhüllten Tisch aus dem Halbdunkel hervor, ein anderer das Symbol der Liga, ein
    gleichschenkliges Dreieck, Spitze nach unten, umschlossen von einem Kreis. Wie eine Lichterscheinung schwebte das Zeichen über der Bühne, verloren im
    unergründlich blauschwarzen Raum. Auch das steil ansteigende Halbrund der Sitze verlor sich im Dunkel. Der Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt. Aron
    war spät gekommen, hatte nur mehr einen Platz oben in den Rängen gefunden, von wo die effektvoll ausgeleuchtete Bühne wie ein Schiff wirkte, das in einem
    dunklen Meer trieb, geleitet vom goldenen Liga-Zeichen. Keiner der Atmas wollte sich den Auftritt des Lirep entgehen lassen, der nur in besonderen Fällen
    eine Abschiedszeremonie abhielt, etwa wenn ein Liga-Pionier hinübergegangen war in die anderen Welten oder ein Atma der höheren Einweihungskreise. Sein
    Erscheinen bei der Zeremonie für Ben hatte für Gesprächsstoff gesorgt. Ben war beliebt gewesen an der Akademie und im Zentrum, und doch hatten manche mit
    geschickt gewählten Worten durchblicken lassen, das Hju habe Ben bewahrt vor weiterem Abweichen vom wahren Weg, indem es sein physisches Leben so jäh hatte
enden lassen. Hatte er sich nicht respektlos über den Lirep geäußert, war er nicht aus

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