Der Name der Rose
Sätzen und Begriffen zu tun, und die Begriffe bezeichnen einzelne Dinge.
Verstehst du mich, Adson, ich muß davon ausgehen, daß mein Satz richtig ist, denn ich habe ihn aufgrund bestimmter Erfahrungen gewonnen. Doch um an seine Richtigkeit glauben zu können, muß ich annehmen, daß es allgemeine Gesetze gibt, von denen ich aber nicht sprechen kann, denn der bloße Gedanke, es könnte so etwas wie allgemeine Gesetze und eine feste Ordnung der Dinge geben, impliziert bereits, daß Gott ihr Gefangener wäre – Gott, der doch so absolut frei ist, daß er die ganze Welt, wenn er nur wollte und mit einem einzigen Akt seines Willens, verändern könnte!«
»Wenn ich Euch also recht verstehe, dann macht Ihr etwas und wißt, warum Ihr es macht; aber Ihr wißt nicht, warum Ihr wißt, daß Ihr wißt, was Ihr macht?«
Ich muß sagen, daß William mich bewundernd ansah. »Vielleicht ist es so. Jedenfalls erklärt es dir, warum ich meiner Wahrheit so ungewiß bin, auch wenn ich an sie glaube.«
»Ihr seid noch mystischer als Ubertin«, sagte ich maliziös.
»Mag sein. Aber ich arbeite, wie du siehst, an den Dingen der Natur. Auch in der Untersuchung, die wir hier durchführen, will ich gar nicht wissen, wer der Gute und wer der Böse ist, sondern nur herausfinden, wer gestern nacht im Skriptorium war und meine Augengläser genommen hat, und wer gestern morgen im Schnee die Spur eines Körpers gemacht hat, der einen anderen Körper schleppte, und wo Berengar ist. Das sind die Tatsachen, später werde ich dann versuchen, sie in einen Zusammenhang zu bringen, sofern das irgendwie möglich ist. Denn es ist immer schwer zu sagen, welche Ursache welche Wirkung erzeugt hat, schließlich genügt der Eingriff eines Engels, und alles ist anders – weshalb man sich nicht zu wundern braucht, wenn man nicht schlüssig beweisen kann, daß eine Sache die Ursache einer anderen ist, auch wenn man es immer prüfen muß, wie ich es gerade tue.«
»Ihr habt wirklich ein schweres Leben«, sagte ich.
»Aber ich habe Brunellus gefunden«, erinnerte William an die Geschichte mit dem Rappen des Abtes.
»Also gibt es doch eine Ordnung der Welt!« rief ich triumphierend aus.
»Also gibt es ein klein wenig Ordnung in meinem armen Kopf«, versetzte William trocken.
In diesem Moment kam Nicolas mit einer nahezu fertigen Gabel und zeigte sie stolz.
»Und wenn diese Gabel erst einmal auf meiner armen Nase sitzt«, fuhr William fort, »wird vielleicht noch ein bißchen mehr Ordnung in meinen armen Kopf einziehen.«
Ein Novize erschien in der Tür und sagte, der Abt wolle William dringend sprechen, er warte im Klostergarten. So sah sich mein Meister gezwungen, seine Experimente zu unterbrechen, und wir eilten hinaus. Während wir uns dem angegebenen Treffpunkt näherten, schlug sich William plötzlich an die Stirn, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, was er die ganze Zeit vergessen hatte.
»Apropos Ordnung im Kopf«, sagte er, »ich habe Venantius' kabbalistische Zeichen entziffert.«
»Was? Alle? Wann?«
»Als du geschlafen hast. Und ob es alle sind, hängt davon ab, was du darunter verstehst. Ich habe die Zeichen entziffert, die unter der Flamme erschienen sind und die du kopiert hast. Der griechische Text muß warten, bis ich meine neuen Augengläser habe.«
»Und? Geht es wirklich um das Geheimnis des Finis Africae?«
»Ja, und der Schlüssel war ziemlich leicht zu finden. Venantius hatte die zwölf Tierkreiszeichen genommen, dazu die acht Zeichen der fünf Planeten, der beiden Himmelsleuchten und der Erde. Insgesamt also zwanzig Zeichen – genug, um ihnen die Buchstaben des lateinischen Alphabets zuzuordnen, wenn man davon ausgeht, daß ein und derselbe Buchstabe für die Anfangslaute der Wörter unum und velut stehen kann. Die Reihenfolge der Buchstaben ist bekannt. In welcher Reihenfolge konnten die Zeichen geordnet sein? Ich versuchte es mit der Ordnung der Himmelsgewölbe, indem ich den Zodiakus an die äußere Peripherie setzte. Also Erde, Mond, Merkur, Venus, Sonne und so weiter, danach die Tierkreiszeichen in 130
Der Name der Rose – Dritter Tag
ihrer traditionellen Abfolge, wie sie auch Isidor von Sevilla klassifiziert hat, vom Widder und der Frühlingssonnwende bis zu den Fischen. Und nun schau mal, wenn man diesen Schlüssel anwendet, ergibt Venantius' Geheimbotschaft tatsächlich einen Sinn.«
Er zeigte mir das Pergament, auf dem er die rätselhafte Botschaft in große lateinische Lettern transkribiert hatte, und ich
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