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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nicht zu furchten, ich sei ihr freundlich gesonnen, jedenfalls sicher nicht feindlich, gewiß nicht so feindlich, wie sie es offenbar wähnte.
    Vielleicht war es die Sanftheit, die aus meinen Blicken strömte, jedenfalls wurde das arme Geschöpf nun etwas ruhiger und kam näher. Ich merkte, daß sie mein Latein nicht verstand, und sprach sie instinktiv in meiner Muttersprache an, also auf deutsch, aber das erschreckte sie wieder sehr, vielleicht wegen der harten Laute, die den Bewohnern dieser Gegend ungewohnt waren, vielleicht auch, weil diese Laute ihr eine andere Erfahrung, möglicherweise mit einem Landsknecht aus meiner Heimat, in Erinnerung riefen. So lächelte ich, in der Annahme, daß die Sprache der Gesten und Blicke allgemeinverständlicher sei als die der Worte, und sie beruhigte sich rasch wieder. Ja, sie lächelte ebenfalls und sagte ein paar leise Worte zu mir.
    Ich verstand zwar nur wenig von ihrem Dialekt, und in jedem Falle klang er recht anders als der, den ich ein wenig in Pisa gelernt hatte, aber dem Tonfall entnahm ich, daß es zärtliche Worte waren, und mir schien, als sagte sie etwas wie: »Du bist jung, du bist schön . . .« Selten geschieht es einem Novizen, der seine ganze Kindheit im Kloster verbracht hat, daß jemand ihm etwas über seine Schönheit sagt; im Gegenteil, meist wird man daran erinnert, daß Anmut und Jugend vergänglich sind und keiner besonderen Hochschätzung würdig. Doch mannigfach sind die Wege des Bösen, und ich gestehe, daß diese unvermutete Anspielung auf meine Wohlgestalt, wie hinfällig diese auch immer sein mochte, mir gar süß in den Ohren klang und ein unbändiges Gefühl in mir aufsteigen ließ. Zumal das Mädchen, um auch dies zu sagen, dabei seine Hand ausstreckte und mir mit den Fingerspitzen leicht über die Wange strich, die damals noch gänzlich bartlos war. Eine nie gekannte Lust überkam mich, doch ich verspürte dabei keinen Schatten von Sünde in meinem Herzen. So viel vermag zuweilen der Dämon, wenn er uns in Versuchung fuhren will und sich anschickt, die Spuren der Gnade aus unserer Seele zu tilgen.
    Was geschah mir? Was fühlte, was sah ich? Ich weiß nur, daß mir für meine Gefühle im ersten Augenblick jeder Ausdruck fehlte, denn es war meiner Zunge und meinem Geist nicht beigebracht worden, solche Empfindungen zu benennen. Allmählich stiegen dann andere Worte aus meinem Innern auf, Worte, die ich zu anderen Zeiten vernommen und die gewiß zu anderen Zwecken gesprochen waren, die mir jedoch wie durch ein Wunder im Einklang zu stehen schienen mit der Lust jenes Augenblicks, als wären sie konsubstantiell zu ihrem Ausdruck ersonnen. Worte, die sich in den tiefsten Zonen meiner Erinnerung festgesetzt hatten, stiegen herauf und sprangen mir auf die (stummen) Lippen, und ich vergaß, daß sie einst in der Schrift oder in den Büchern der Heiligen dazu gedient hatten, Wahrheiten und Empfindungen von ganz anderer Art auszudrücken. Aber gab es denn wirklich einen Unterschied zwischen dem hehren Entzücken, von welchem die Heiligen sprachen, und der heißen Lust, die meine erregte Seele in diesem Moment empfand? Ja, ich gestehe, in diesem Moment erlosch in mir der wache Sinn für die Differenz. Und das ist stets, so scheint mir, das Zeichen der Entrückung und des Sturzes in die Abgründe der Identität.
    Denn auf einmal erschien mir das Mädchen ganz wie die schwarze, aber schöne Jungfrau, von der das Hohelied Salomonis spricht. Sie war angetan mit einem verschlissenen Kleid aus grobem Stoff, das sich recht schamlos über ihren Brüsten öffnete, und sie trug um den Hals eine Kette aus buntbemalten und sicher sehr billigen Steinen. Doch stolz erhob sich ihr Kopf auf einem weißen Hals, der wie aus Elfenbein war, ihre Augen leuchteten hell wie die Teiche zu Hesbon, ihre Nase war wie ein Turm auf dem Libanon, ihr Haar wie der Purpur des Königs in Falten gebunden. Ja, ihr Haar erschien mir wie eine Herde Ziegen, die am Berge lagern, ihre Zähne erschienen mir wie eine Herde Schafe, die frisch aus der Schwemme kommen und allzumal Zwillinge haben, und: »Du bist schön, meine Freundin, schön bist du«, kam es mir auf die Lippen,
    »dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead hernieder, deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen, dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, daran tausend Schilde hangen und allerlei Waffen 152
    Der

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