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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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langer Zeit, es ist schon einige Jahre her, hatte ich auf einem dieser Regale ein hochkonzentriertes Gift. Ein Mitbruder hatte es mir aus fernen Ländern mitgebracht, er wußte selbst nicht genau, woraus es bestand, vermutlich aus Kräutern, die hierzulande unbekannt sind. Es war ein dickflüssiges gelbliches Zeug, aber er riet mir, es nicht zu berühren, denn falls etwas davon auf meine Lippen käme, würde ich unweigerlich binnen kurzer Zeit sterben. Der Mitbruder sagte, selbst wenn man nur eine winzige Menge davon einnähme, würde sich nach spätestens einer halben Stunde ein Gefühl von großer Mattigkeit einstellen, dann eine langsame Lähmung aller Glieder und schließlich der Tod. Er wollte das Gift nicht bei sich behalten und schenkte es mir. Ich bewahrte es jahrelang auf, denn ich hatte immer die Absicht, es einmal genauer zu untersuchen. Dann tobte eines Tages ein 161
    Der Name der Rose – Dritter Tag
    heftiger Sturm über das Plateau. Einer meiner Gehilfen, ein Novize, hatte dummerweise die Tür offengelassen, so daß der Sturm den ganzen Raum, in dem wir uns hier befinden, schrecklich verwüstete.
    Überall lagen zerbrochene Gläser, vergossene Flüssigkeiten, verstreute Kräuter und Pulver herum. Ich brauchte einen ganzen Tag, um wieder Ordnung zu schaffen, und helfen ließ ich mir nur beim Fortschaffen der Scherben sowie der unbrauchbar gewordenen Kräuter. Am Ende mußte ich feststellen, daß genau die Flasche mit dem tödlichen Gift nicht mehr da war. Anfangs machte ich mir große Sorgen, dann sagte ich mir, daß sie wohl zerbrochen und mit den anderen Abfällen weggeworfen worden war. Ich ließ den Fußboden und die Regale gründlich reinigen . . .«
    »Und kurz vor dem Sturm hattest du die Flasche noch gesehen?«
    »Ja . . . beziehungsweise nein, wenn ich's genau bedenke. Sie stand gut versteckt hinter einer Reihe von Krügen, und ich hatte nicht jeden Tag nachgesehen, ob sie noch da war . . .»
    »Also hätte sie dir auch schon vor dem Sturm gestohlen worden sein können, ohne daß es dir aufgefallen wäre?«
    »Jetzt, wo ich darüber nachdenke: ja, zweifellos . . .«
    »Und dein Novize hätte sie gestohlen und dann, als der Sturm kam, die Tür absichtlich offengelassen haben können, um bei dieser Gelegenheit deine Sachen durcheinanderzubringen?«
    »Ja, sicher!« Severin war jetzt sehr aufgeregt. »Und jetzt fällt mir auch ein: Es kam mir damals recht sonderbar vor, daß der Sturm, wie heftig er auch gewesen sein mochte, ein so großes Durcheinander angerichtet hatte. Es sah wirklich ganz danach aus, als hätte sich jemand die Gelegenheit zunutze gemacht, um das Laboratorium völlig zu verwüsten . . .«
    »Wer war jener Novize?«
    »Er hieß Augustin. Aber er ist letztes Jahr gestorben – von einem Gerüst gestürzt, beim Reinigen der Skulpturen am Kirchenportal . . . Und außerdem, wenn ich's recht bedenke, hatte er damals Stein und Bein geschworen, daß er die Tür nicht offengelassen hätte vor dem Sturm. Ich war es, der ihn hinterher in meiner Wut dafür verantwortlich machte. Vielleicht war er wirklich unschuldig.«
    »So gab es mithin einen Dritten, der über dein Gift Bescheid wußte und der womöglich sehr viel erfahrener war als ein Novize. Mit wem hattest du darüber gesprochen?«
    »Das weiß ich wirklich nicht mehr. Zweifellos mit dem Abt, ich mußte ihn schließlich um Erlaubnis bitten, ein so gefährliches Zeug bei mir aufzubewahren. Sicher auch mit einigen anderen, vermutlich im Skriptorium, als ich nach Herbarien suchte, die mir Aufschluß über die Zusammensetzung geben könnten.«
    »Sagtest du mir nicht neulich, daß du die wichtigsten kräuterkundlichen Werke im Hospital hast?«
    »Gewiß, eine ganze Reihe sogar.« Severin deutete stolz in eine Ecke, wo mehrere Dutzend Folianten auf den Regalen standen. »Aber ich suchte damals gewisse Bücher, die ich nicht bei mir, haben durfte und die auch Malachias nicht ohne Sondererlaubnis des Abtes herzeigen wollte.« Er senkte die Stimme, als wollte er nicht, daß ich seine Worte verstand. »Weißt du, in einem verborgenen Winkel der Bibliothek werden nämlich auch Werke der Negromantik aufbewahrt, Schriften über Schwarze Magie und Teufelsrezepte.
    Einige dieser Werke durfte ich schließlich zu Zwecken der Wissenschaft konsultieren, und ich hoffte, womöglich eine Beschreibung des Giftes und seiner Wirkungen darin zu finden. Aber vergebens.«
    »Demnach hattest du mit Malachias darüber gesprochen?«
    »Natürlich, ja, und

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