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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Gifte zuführen sowie über einen Diebstahl vor langer Zeit.
    Muß ich erzählen, wie wir den Abt informierten, wie die Mönche vor der kanonischen Stunde aus dem Schlaf fuhren und verstört durcheinanderliefen, auf den Lippen entsetzte Schreie, die Blicke verzerrt vor Schrecken und Schmerz? Wie die Nachricht von unserem grausigen Fund sich in Windeseile über das ganze Plateau verbreitete bis zu den Dienern und Stallknechten, die sich hastig bekreuzigten unter allerlei Stoßgebeten? Ich weiß nicht, ob die Mette an jenem Morgen ordnungsgemäß zelebriert wurde, wie es die Regel gebot. Ich folgte William und Severin, die Berengars sterbliche Hülle bedecken und im Hospital auf einen langen Tisch legen ließen. Sobald der Abt und die anderen Mönche gegangen waren, zogen der Bruder Botanikus und mein Meister das Tuch von der Leiche und musterten sie ausgiebig mit der Nüchternheit erfahrener Mediziner.
    »Tod durch Ertrinken«, stellte Severin fest, »daran besteht kein Zweifel: das Gesicht aufgedunsen, der Leib gebläht . . .«
    »Ja, aber nicht infolge gewaltsamer Fremdeinwirkung«, sagte William, »sonst hätte Berengar sich gewehrt und wir hätten die Spuren von Wasserspritzern rings um die Wanne gefunden. Es war aber alles ganz sauber und ordentlich, als hätte Berengar sich aus freien Stücken ein Bad bereitet und friedlich hineingelegt.«
    »Das würde mich nicht überraschen«, meinte Severin. »Er litt an sporadischen Krämpfen, ich selber hatte ihm wiederholt gesagt, daß warme Bäder ein gutes Mittel sind, um Körper und Geist zu beruhigen, und er hatte in letzter Zeit mehr als einmal mit meiner Erlaubnis das Badehaus aufgesucht. So mag er es auch heute nacht getan haben . . .«
    »Gestern nacht«, korrigierte William, »denn wie du siehst, hat diese Leiche schon mindestens einen Tag lang im Wasser gelegen.«
    »Mag sein, daß es auch schon gestern nacht war«, gab Severin zu, worauf ihn William in groben Zügen, unter Auslassung mancher Begleitumstände, über die Ereignisse der vorigen Nacht ins Bild setzte – recht oberflächlich, um die Wahrheit zu sagen: Er unterschlug unseren Aufenthalt im Skriptorium und berichtete lediglich, daß wir einer geheimnisvollen Gestalt gefolgt waren, die ein Buch entwendet hatte. Severin merkte, daß William ihm einen Teil der Wahrheit verschwieg, fragte aber nicht weiter, sondern nickte und meinte, dann sei es gut möglich, daß Berengar – falls er die geheimnisvolle Gestalt war – in seiner Erregung das Bedürfnis nach der wohltuenden Ruhe eines Bades verspürt hätte. Er sei nämlich äußerst empfindsam gewesen, schon kleine Widrigkeiten oder Gefühlsregungen hätten ihn manchmal so heftig erzittern lassen, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach und er die Augen verdrehte und in schlimmen Fällen sogar zu Boden stürzte mit Schaum vor dem Munde.
    »In jedem Falle«, sagte William, »muß er zuerst noch woanders gewesen sein, bevor er ins Badehaus ging, denn das Buch, das er gestohlen hatte, war nicht mehr da.«
    »Ja«, fiel ich eifrig ein, »ich habe die Kleider neben der Wanne genau untersucht und keine Spur eines größeren Gegenstandes gefunden.«
    »Bravo, Adson!« lobte mich William lächelnd. »Also war er zuerst noch woanders. Dann mag er, um sich zu beruhigen und vielleicht auch um unseren Nachforschungen zu entgehen, ins Badehaus eingedrungen und sich ins Wasser gelegt haben. Was meinst du, Severin, war sein Leiden so schlimm, daß er ohnmächtig werden und in der Wanne ertrinken konnte?«
    »Schon möglich«, antwortete Severin zögernd. »Andererseits, wenn das Ganze schon gestern nacht passiert ist, könnten eventuelle Wasserspritzer inzwischen getrocknet sein. Wir dürfen also nicht ausschließen, daß er gewaltsam ertränkt worden ist.«
    »Nein«, gab William zu. »Aber hast du jemals einen Ertränkten gesehen, der seine Kleider ablegt, bevor er sich von seinem Mörder ins Wasser eintauchen läßt?« Severin schüttelte nur den Kopf, als hätte der Einwand kein großes Gewicht mehr. Seit einigen Augenblicken starrte er auf die Hände des Toten.
    »Sonderbar . . .«
    »Was?«
    »Als ich vorgestern morgen die Leiche des armen Venantius untersuchte, fand ich etwas, das mir nicht besonders wichtig erschien: Die Fingerkuppen an zwei Fingern der rechten Hand waren leicht geschwärzt 159
    Der Name der Rose – Dritter Tag
    wie von einer dunklen Substanz. Genau wie hier – sieh mal – die Fingerkuppen Berengars! Ja, und hier sind auch Spuren an einem

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