Der Name der Rose
fast seine Nägel ins Fleisch und raunte: »Siehst du, es ist dasselbe! Was vorher in seinem Wahn triumphierte und sich ergötzte in seiner Lust: Hier liegt es nun, bestraft und belohnt, befreit von den Verlockungen der Leidenschaften, erstarrt für alle Ewigkeit, dem ewigen Eis übergeben zur Konservierung und Purifizierung, dem Zerfall entzogen durch den Triumph des siegreichen Zerfalls, denn nichts und niemand kann mehr zu Staub reduzieren, was bereits Staub und Mineralsubstanz ist. Mors est quies viatoris, finis est omnis laboris . . .«
Da aber stürmte auf einmal Salvatore herein, lodernd wie ein Flammenteufel, und schrie: »Dummkopf, merkst du denn nicht, dies ist bloß die große lyotardische Bestie des Buches Job! Was fürchtest du dich, mein kleines Herrchen? Hier, nimm den Kaasschmarrn!« So sprach er, und ich verstand überhaupt nicht, wovon er sprach, ich kannte weder ein Buch Job noch eine lyotardische Bestie, doch plötzlich begann die Krypta rot zu erglühen und war wieder die Küche, aber mehr noch war sie das Innere eines Bauches, weich und schleimig, und mitten darin saß ein riesiges Ungeheuer, schwarz wie ein Rabe, mit tausend Krallen, und streckte seine Klauen aus, um alle zu greifen, die in seine Reichweite kamen, und wie der Landmann, wenn es ihn dürstet, Trauben ausquetscht, so preßte dieses Untier seine Opfer zusammen und zermalmte ihnen bald den Schädel und bald die Beine, um sich daraus ein großes Fressen zu machen, rülpsend mit einem feurigen Atem, der gräßlicher roch als Schwefel. Doch Wunder über Wunder, dieser Anblick machte mir überhaupt keine Angst mehr, ja ich ertappte mich sogar dabei, diesem »guten Teufel« (wie ich dachte) mit einem gewissen Wohlwollen zuzusehen, war er doch schließlich kein anderer als Salvatore – denn vom sterblichen Menschenkörper, von seinem Leiden und seinem Zerfall wußte ich jetzt alles und hatte nichts mehr zu fürchten. Und tatsächlich sah ich in jenem Flammenschein, der mir auf einmal freundlich und warm 270
Der Name der Rose – Sechster Tag
erschien, alle Gäste des großen Konviviums wieder, sie sangen fröhlich und versicherten, gleich werde alles von vorn beginnen, und mitten unter ihnen erblickte ich auch das Mädchen, heil und schön wie die Morgenröte, und sie sagte zu mir: »Laß nur, es ist nichts, du wirst schon sehen, hinterher bin ich noch schöner als jetzt, ich gehe, um für ein Weilchen auf dem Scheiterhaufen zu brennen, danach werden wir uns hier wiedersehen.« Und sie zeigte mir – Gott vergebe mir – ihre Vulva, und ich kroch hinein und befand mich in einer prächtigen Höhle, die mir erschien wie das liebliche Tal des Goldenen Zeitalters, taufrisch von klaren Bächen und Früchten und Bäumen, auf denen der Kaasschmarrn wuchs. Und alle Gäste bedankten sich bei dem Abt für das schöne Fest und zeigten ihm ihre Zuneigung und ihren Übermut, indem sie ihn stießen und traten und ihm die Kleider vom Leibe rissen und ihn zu Boden warten und auf ihm herumtrampelten und ihm mit Ruten die Rute schlugen, wobei er wiehernd lachte und bat, sie sollten aufhören, ihn zu kitzeln. Und rittlings zu Pferde, auf Pferden, die gelbe Schwefelwolken aus ihren Nüstern bliesen, stürmten die kleinen Brüder des armen Lebens herein und hatten am Gürtel pralle Geldbörsen voller Gold, mit dem sie die Wölfe in Lämmer verwandelten und die Lämmer in Wölfe, die sie zu Kaisern krönten unter dem Beifall des zur Volksversammlung versammelten Volkes, das von morgens bis abends Loblieder auf die Macht und Herrlichkeit Gottes sang. » Ut cachinnis dissolvatur, torqueatur rictibus! « schrie Jesus und fuchtelte mit der Dornenkrone. Da erschien Papst Johannes, fluchte über das Durcheinander und sprach: »Wenn das so weitergeht, weiß ich wirklich nicht, wo das noch enden soll!« Aber alle lachten ihn aus und gingen, der Abt voran, mit den Schweinen auf Trüffelsuche in den Wald. Gerade wollte ich mich ihnen anschließen, da sah ich in einer Ecke William aus dem Labyrinth herauskommen, in der Hand einen Magneten, der ihn mit großer Kraft nach Norden davonzog. »Meister, verlaßt mich nicht!« rief ich hinter ihm her. »Auch ich will sehen, was im Finis Africae ist!«
»Du hast es bereits gesehen!« antwortete er, schon in weiter Ferne. Und ich erwachte, während in der Kirche gerade die letzten Worte des Totengesanges erklangen:
Lacrimosa dies illa
qua resurget ex favilla
iudicandus homo reus:
huic ergo parce deus!
Pie Iesu
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