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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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übersetzt in Begriffe, die den einfachen Hirten und Bauern verständlich waren. Und diese Hirten und Bauern wußten nicht, wo der Papst residierte, aber sie wußten, wo die Juden zu finden waren … So stürmten sie eines Tages einen hohen und wohlbefestigten Turm des Königs von Frankreich, in den sich viele verschreckte Juden geflüchtet hatten. Die Juden auf und unter den Mauern wehrten sich tapfer und heldenmütig mit Balken und Steinen, doch die Pastorellen steckten das hölzerne Tor in Brand und quälten die Juden im Turm mit Feuer und Rauch. Als diese sahen, daß es für sie keine Rettung mehr gab, und da sie lieber von eigener Hand sterben wollten als von der Mörderhand eines Unbeschnittenen, baten sie einen der ihren, den Mutigsten, daß er sie alle töte mit seinem Schwert. Er willigte ein und tötete fast fünfhundert. Dann trat er mit den Kindern der Juden vors Tor und bat um die Taufe. Die Pastorellen aber sagten: »Du hast ein so großes Gemetzel unter deinen Leuten angerichtet und willst nun selber dem Tod entgehen?« Und rissen ihn in Stücke, verschonten jedoch die Kinder, um sie zu taufen. Anschließend zogen sie sengend und mordend weiter nach Carcassonne. Da aber wurde es endlich dem König von Frankreich zuviel, und er befahl, man solle ihnen Widerstand leisten in jeder Stadt, in die sie kämen, ja man solle sogar die Juden verteidigen, als wären sie Leute des Königs …
    Warum war der König auf einmal so sehr um die Juden besorgt? Vielleicht weil er sich klarzumachen begann, was die wachsende Horde der Pastorellen seinem Reich hätte antun können? Jedenfalls empfand er nun Mitleid mit den Juden, sei's weil sie nützlich waren für den Handel des Reiches, sei's weil es jetzt galt, die Pastorellen zu vernichten, und darum mußte er allen guten Christen einen Grund geben, die Verbrechen der Horde zu beklagen. Doch viele Christen gehorchten dem König nicht, da sie es nicht richtig fanden, die Juden zu verteidigen, die seit jeher die Feinde des christlichen Glaubens gewesen seien. Außerdem waren die Leute in vielen Städten froh, daß die Juden, denen sie Wucherzinsen hatten bezahlen müssen, nun von den Pastorellen für ihren Geiz und Reichtum bestraft wurden. Schließlich verbot der König bei Strafe des Todes, den Pastorellen in irgendeiner Weise behilflich zu sein. Er stellte ein großes Heer auf und griff sie an, und viele von ihnen wurden getötet, andere entkamen in die Wälder, wo sie elendiglich zugrunde gingen. Im Handumdrehen war die ganze Horde vernichtet. Der Beauftragte des Königs fing die Überlebenden ein und knüpfte sie an den höchsten Bäumen auf, zwanzig bis dreißig auf einmal, damit der Anblick ihrer Leichen als ewige Mahnung und abschreckendes Beispiel diene, so daß es fortan niemand mehr wage, den Frieden des Reiches zu stören.
    Einzigartig an dieser Geschichte war indessen, daß Salvatore sie mir erzählte, als habe es sich um eine fromme und gottesfürchtige Unternehmung gehandelt. Tatsächlich war er immer noch fest davon überzeugt, daß die Horde der Pastorellen durchs Land gezogen sei, um das Heilige Grab aus den Händen der Ungläubigen zu befreien, und ich konnte ihm nicht begreiflich machen, daß diese schönste aller Befreiungen längst vollbracht worden war, zu Zeiten Peters des Eremiten und zu Zeiten des heiligen Bernhard und zuletzt unter der Herrschaft Ludwigs des Heiligen von Frankreich. Doch trotz seiner großen Begeisterung für diese Sache ging Salvatore damals nicht zu den Ungläubigen, da er Frankreich so rasch wie möglich verlassen mußte. Er kehrte zurück nach Oberitalien, hielt sich, wie er mir sagte, eine Zeitlang im Novaresischen auf (doch über das, was ihm dort widerfuhr, sprach er nur sehr vage) und erreichte schließlich Casale, wo er sich in das Minoritenkonvent aufnehmen ließ (dort war er dann wohl seinem späteren Gönner Remigius begegnet). Das war genau zu der Zeit, als zahlreiche Minoriten, verfolgt vom Papst, die Kutte wechselten und in den Klöstern anderer Orden Zuflucht suchten, um nicht als Ketzer verbrannt zu werden – genau wie es auch Ubertin erzählt hatte. Dank seiner Geschicklichkeit in vielerlei Handarbeiten (die er zu unfrommen Zwecken ausgeübt hatte, solange er frei vagabundierte, und zu frommen Zwecken, seit er aus Liebe zu Christus vagabundierte) wurde der Mönch Salvatore bald als Gehilfe des Cellerars angestellt. Und in eben dieser Eigenschaft lebte er nun schon seit langen Jahren hier oben in dieser Abtei,

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