Der Name der Rose
Scharlatanen an den Ufern der Donau vorbeiziehen. Sie haben eigene Namen, und ihre Zahl nach Arten und Gattungen ist Legion wie die der Dämonen: Acapones, Biantes, Affratres, Protomedici, Pauperes verecundi, Asciones, Crociarii, Alacerbati, Reliquiarii, Affarinati, Falpatores, Iucchi, Spectini, Confitentes und Compatrizantes, Apezentes und Atarantes, Acconi und Admiracti, Mutuatores, Atrementes, Cagnabaldi, Falsibordones, Acadentes, Alacrimantes und Affarfantes.
Es war wie eine Schlammflut, die sich über die Straßen unserer Welt ergoß, und zwischen all diesem fahrenden Volk bewegten sich Prediger guten Glaubens, Häretiker auf der Suche nach neuen Opfern, Aufrührer und Agitatoren. Kein Wunder also, daß Papst Johannes in seiner steten Furcht vor den Bewegungen der einfachen Leute, die ein Leben in Armut predigten und praktizierten, so heftig gegen die Wanderprediger vorging, die seinen Worten zufolge die Neugierigen anlockten, indem sie farbenprächtige Banner hißten, um dann nach der Predigt den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Hatte der simonistische und korrupte Papst etwa recht, als er die Armut predigenden Bettelmönche gleichsetzte mit diesen Banden von Entwurzelten und Gesetzlosen? Mir war, nachdem ich ein wenig die italienische Halbinsel bereist hatte, die Sache alles andere als klar. Ich hatte von jenen Brüdern in Altopascio gehört, die in ihren Predigten mit Exkommunikationen drohten und Sündenablaß versprachen, die gegen Bezahlung Absolution erteilten für Raub und Mord und Totschlag und Meineid, die auch behaupteten, in ihrem Hospital würden jeden Tag bis zu hundert Messen gelesen, wofür sie Spenden sammelten von den Leuten, und mit ihren Reichtümern würden zweihundert arme Mädchen dotiert. Ich hatte auch von jenem Fra Paolo Zoppo gehört, der im Wald von Rieti als Einsiedler lebte und sich rühmte, direkt vom Heiligen Geist die Offenbarung erhalten zu haben, daß der fleischliche Akt keine Sünde sei – wie es hieß, verführte er seine Opfer, die er Schwestern nannte, indem er sie zwang, sich nackt von ihm peitschen zu lassen, wobei sie fünf Kniefälle auf den Boden in Form eines Kreuzes vollführen mußten, bevor er sie Gott präsentierte und von ihnen verlangte, was er den Friedenskuß nannte. Aber stimmten diese Geschichten? Und wenn sie stimmten, was verband diese Einsiedler, die sich Erleuchtete nannten, mit jenen kleinen Brüdern des armen Lebens, die durch Italien zogen und sich bemühten, wahre Buße zu tun, gehaßt und verfolgt von den reichen Prälaten, deren Laster und Habsucht sie geißelten?
Aus Salvatores Erzählung, die sich in meinem Kopfe vermengte mit dem, was ich von früher wußte, traten diese Differenzierungen nicht hervor: alles schien allem zu gleichen. Einmal wirkte er fast wie einer jener verkrüppelten Bettler in der Touraine, die der Legende zufolge die Flucht ergriffen, als der wundertätige Leichnam des heiligen Martin nahte, weil sie fürchteten, der Heilige werde sie heilen und ihnen damit die Grundlage ihres Lebensunterhaltes entziehen, doch gnadenlos erbarmte Sankt Martin sich ihrer, indem er sie, bevor sie die Grenze erreichten, für ihre Niedertracht bestrafte durch Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft. Ein andermal aber ging ein glückliches Strahlen über das wüste Gesicht Salvatores, als er mir erzählte, wie er eines Tages die Worte franziskanischer Wanderprediger vernommen, einfacher Minoriten, die gleich ihm auf den Straßen lebten, und wie er begriffen hatte, daß sein Landstreicherdasein nicht unbedingt als eine dumpfe Notwendigkeit erlitten, sondern auch als ein fröhlicher Ausdruck der Demut erlebt werden konnte – woraufhin er sich verschiedenen Sekten und Büßergruppen anschloß, deren Namen er mir verunstaltet nannte und deren Lehren er reichlich ungeschlacht definierte. Soviel ich verstand, hatte er wohl eine Zeitlang mit Patarenern und mit Waldensern gelebt, vielleicht auch mit Katharern, Arnoldisten und Humiliaten. Er war von Gruppe zu Gruppe gewechselt und hatte dabei gelernt, sein Vagantenleben mehr und mehr als eine Art Mission zu sehen und für den Herrn zu tun, was er zuvor für seinen Bauch getan.
Doch wie und bis wann? Wenn ich ihn richtig verstand, war er ungefähr drei Jahrzehnte vor unserem Gespräch, also kurz vor der Jahrhundertwende, in ein toskanisches Minoritenkloster gegangen und hatte die Kutte des heiligen Franz angelegt, ohne sich freilich ordinieren zu lassen. Dort, denke ich, hatte er wohl das
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