Moerderische Dividende
1
Meine Schwester Mary Alice sorgte auf höchst einfache Weise dafür, daß wir verhaftet wurden: Sie briet dem Bankdirektor mit meinem Schirm eins über. Riß mir den Schirm einfach aus der Hand, und
klatsch
, hatte er ihn auf der Birne. Ich glaube, er war mehr überrascht als verletzt. Es war kaum Blut zu sehen, und jeder weiß doch, wie stark Kopfwunden bluten. Er hatte nicht einmal eine große Beule. Wahrscheinlich hätte es überhaupt keine gegeben, wenn er noch ein paar Haare gehabt hätte.
Aber er kreischte, als wollte sie ihn umbringen, woraufhin ein Wachmann hereinstürmte und mit einem Blick auf den taumelnden, schreienden Mr. Jones die Waffe zog und auf uns richtete. Er, also der Wachmann, sah wie der dümmliche Polizist Barney Fife aus der Andy Griffith Show aus, und die Patronen hatte er möglicherweise in der Tasche, aber man ließ es besser nicht drauf ankommen. Zumindest ist das meine Einstellung. Schwesterherz sagte später, daß sie ohne weiteres dem Wachmann einen Hieb hätte versetzen können oder ihm zumindest die Waffe aus der Hand schlagen, wenn er nicht einen so mitleiderregenden Eindruck gemacht hätte, wie er so dastand, zitternd wie Espenlaub. Außerdem fände sie es erstaunlich, sagte sie, daß Alcorn Jones als Bankdirektor keine höhere Schmerzschwelle habe.
Das klingt so, als sei meine Schwester brutal und rücksichtslos. Ein wenig ist sie das auch. Seit sechsundsechzigJahren (sie behauptet vierundsechzig) macht sie sich nur selten die Mühe, an Türen zu klopfen. Solche Sachen eben. Aber sie ist nicht in einer Weise brutal, daß sie herumgeht und Bankdirektoren mit dem Schirm eins überbrät. Zumindest üblicherweise nicht. Tatsächlich war sie die ganze Zeit über, in der wir im Gefängnis darauf warteten, daß uns Fred, mein Mann, dort rausholte, damit beschäftigt, sich Sorgen zu machen, ob die Damen aus dem Investmentclub ihren Schlag auf Alcorns Haupt wohl für vulgär hielten. Ich versicherte ihr, daß man sie als Heldin betrachten würde, eine wahre Stahlmagnolie, die ihre Ehre verteidigt hatte.
»Glaubst du?« Sie blickte mich hoffnungsvoll an.
»Absolut. Und den Club hast du auch verteidigt. Schließlich hat Alcorn uns allen Unrecht angetan.«
»Das ist richtig.« Sie machte einen nachgerade fröhlichen Eindruck. »Er hat nur bekommen, was er verdient!«
Ich wußte nicht so recht. Wir waren dafür im Gefängnis von Birmingham gelandet. Ich hatte es in den einundsechzig Jahren meines Lebens erst auf einen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung gebracht, und jetzt saß ich hier, eingekerkert.
»Maus«, sagte Schwesterherz, »laß uns die Frau, die uns hier reingeführt hat, nach Briefpapier fragen. Wir könnten doch Haley einen Brief aus dem Birminghamer Gefängnis schreiben. Sie würde sich riesig freuen.«
Wahrscheinlich. Haley ist meine Tochter. Gegenwärtig lebt sie in Polen, in Warschau. Sie fände es sicher äußerst komisch, daß ihre Mama und Tante Schwesterherz im Gefängnis gelandet waren.
»Alle möglichen berühmten Leute schreiben Briefe aus dem Birminghamer Gefängnis«, fuhr Mary Alice fort.
»Wir sind nicht berühmt.« Allmählich sehnte ich mich nach meiner Tasche und dem Aspirin darin; ich rieb mir die Schläfen. »Was glaubst du, warum hat die Polizei unsere Taschen an sich genommen?«
»Sie passen auf, daß wir nicht Selbstmord begehen.«
Ich sah meine Schwester an. Sie kann mich immer wieder in Erstaunen versetzen. Tatsächlich hätte ich, wenn meine Mutter nicht geschworen hätte, daß wir zu Hause geboren wurden, darauf gewettet, daß man eine von uns vertauscht hatte. Wir sehen uns nicht einmal irgendwie ähnlich. Mary Alice ist einen Meter dreiundachtzig groß und wiegt nach eigenem Eingeständnis hundertunddreizehn Kilo. Ich bin einen Kopf kleiner und bringe achtundvierzig Kilo auf die Waage. Sie hatte früher brünettes Haar und olivfarbene Haut; ich war, was meine Mutter als rotblond zu bezeichnen pflegte.
Mary Alice war eigentlich auch fünf Jahre älter als ich, doch sie hatte angefangen, den Zeiger rückwärts zu bewegen. An diesem Tag im Gefängnis von Birmingham war sie platinblond und ich ziemlich grauhaarig. Aber Vernunft hatte ich immer noch dreimal soviel.
»Weshalb sollten sie sich Gedanken machen, daß wir Selbstmord begehen könnten? Sie haben uns doch nicht einmal eingeschlossen.« Das war die Wahrheit. Eine sehr nette Polizistin hatte uns in einen kleinen Raum geführt und die Tür mit einem »Wenn Sie
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