Der Neid eines Fremden
Rundfunk; der zweite aus ziemlich eindeutigen Verbraucherproblemen, die sie beantwortete, indem sie dem Absender empfahl, sich an die nächste städtische Beratungsstelle oder Konsumentengruppe zu wenden.
»Kurz bevor Sie gekommen sind, hat die London Library angerufen. Das Buch, das Sie bestellt haben, ist jetzt da.«
»Ach, wie schön.« Rosa arbeitete an einer Biographie über den Tenor Michael Kelly und war fast eine Woche aufgehalten worden, weil sie auf The Liberline Librettist von April Fitzlyon warten mußte.
»Wie geht's voran? Mit Ihrem Mr. Kelly?« gurrte Sonia. Sie gab sich sehr interessiert und klang wie eine besorgte Mutter, die sich über den Kinderwagen beugt. Rosa widerstand der Versuchung, ihr zu antworten: »Unser Kleiner hat schon wieder ein neues Zähnchen, und er hat fast zwei Pfund zugenommen.«
»Ich bin zufrieden. Ähem ... warum bleiben Sie nicht und erledigen Ihre Arbeit hier, während ich weg bin? Hier haben Sie viel mehr Ruhe als in der Redaktion. Sie werden wahrscheinlich schneller mit der Arbeit vorankommen.« DufTy und seine Leute würden das zu schätzen wissen. Vielleicht würden sie ihr denselben Gefallen tun, wenn ihr Büro nicht besetzt war, was ziemlich oft vorkam.
»Ach nein - danke. Ich habe gern Leute um mich. Ich versteh' einfach nicht, wie sich jemand von seinen Mitmenschen zurückziehen kann. Ich meine ... Menschen sind doch dazu da, einander zu helfen.«
»Nun, ganz wie Sie wollen.«
Als Rosa das Büro verlassen hatte, ging Sonia zum Fenster hinüber und stellte sich, von außen nicht sichtbar, hinter die Jalousien. Sie beobachtete, wie Rosa den schwarzen Golf zurücksetzte und ein deutlich sichtbares, großes weißes RG zum Vorschein kam. Doch auch jetzt blieb sie stehen. Es war oft vorgekommen, daß Rosa kurz vor dem Ausgangstor seitlich ausscherte, auf die Bremse trat und zum Büro zurückrannte, weil sie etwas vergessen hatte. Sie brauchte wirklich eine persönliche Assistentin. Sonia hatte, allerdings erfolglos, versucht, diese Aufgabe zu übernehmen. Keiner ihrer kleinen Gedächtnisstützen war Beachtung geschenkt worden. War sie Rosa mit Sachen, die diese vergessen hatte, hinterhergelaufen, hatte sie nur verärgerte Reaktionen erhalten. Im Standard hatte sie sogar eine Anzeige für ein persönliches Nummernschild mit den Initialen RG 100 gesehen, dort angerufen, sich nach den Einzelheiten erkundigt und Rosa eine Notiz ins Fach gelegt. Als sie den Zettel gelesen hatte, war Rosa in Gelächter ausgebrochen und hatte gesagt, sie wisse jetzt, an wen sie sich wenden müsse, wenn ihr die Arbeit beim Sender nicht mehr reiche.
Der Golf war verschwunden. Sonia ging zu Rosas Schreibtisch und setzte sich in den Drehstuhl. Sie schlug den Terminkalender auf. Dieses Jahr hatte Rosa den von EMI behalten und die restlichen zwanzig weggeworfen. Zu Weihnachten schickten die meisten Plattenfirmen und einige der Vertragsagenten Werbegeschenke, was Sonia unverständlich war, da Rosa nicht einmal als DJ arbeitete. Bezeichnenderweise fand sie für diese Woche keinen Eintrag. Rosa hatte in ihrer Handtasche einen schäbigen Notizblock, in den sie ihre Termine eintrug, und im Büro flogen immer einige Briefumschläge herum, die über und über mit Bemerkungen bekritzelt waren. Sonia biß sich auf die Lippen und seufzte. Sie hatte getan, was sie konnte. Wer konnte mehr verlangen?
Sie richtete sich auf und griff nach Rosas dickem, nüchternem Füllfederhalter. Sie zog den Stapel mit den Briefen der Stellenjäger und die entsprechenden Antwortformulare zu sich hinüber. Hinter dem »Liebe/r« hatte man einen Platz freigelassen, in den der Name des Bittstellers eingetragen wurde. Einige der Unterschriften waren nicht zu entziffern, doch der Absender des ersten Briefes, den sie aufnahm, hatte auf sehr ausgefallene Weise unterschrieben und seinen Namen zusätzlich in Druckschrift daruntergesetzt. Sonia lächelte ein wenig herablassend und begann, das Antwortformular auszufüllen.
»Du dummes -!« Zähl' bis zehn, dachte Rosa, und holte tief Atem. Ein korpulenter Mann war direkt vor ihr auf die Straße getreten und winkte einem Taxi zu ihrer Rechten. Sie hatte sofort gebremst, und er war um ihren Wagen herumgegangen, wobei er mit seiner Aktentasche auf ihre Kühlerhaube geschlagen hatte.
»Die Straße gehört nicht dir allein, weißt du?«
Zähl' lieber bis hundert. Schwerfällig ließ er sich ins Taxi fallen. Halt lieber den Mund, sagte
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