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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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träufelte etwas von dem Saft über ihren Salat und gab ein Stück zusammen mit einigen Eiswürfeln in ihr Glas. Nachdem sie das Mineralwasser dazu gegeben hatte, riß sie ein Tuch von der Küchenrolle und stellte alles zusammen auf ein Tablett. Sie sah auf die alte Küchenuhr. Noch eine Viertelstunde, dann ging's an die Arbeit. Genug Zeit, um kurz in den Guardian zu sehen. Sie biß in das saftige Fleisch.
      Sie begann die Frauenseite zu lesen und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum Polly Toynbee, mit der sie sich über fast alles einig war, sie so irritierte. Vielleicht lag es daran, daß ihre Artikel jeden Humor vermissen ließen, vielleicht mußte jemand, der so sehr davon überzeugt war, die richtige Meinung zu vertreten, einfach irritierend wirken. Madgewick sprang schwerfällig auf ihren Schoß, ließ ein zufriedenes Schnurren vernehmen und schnupperte an ihrem Mittagessen.
      »Du bist ein Schwein, Madgewick. Und du wirst es nicht mögen - es sind Zwiebeln dran.« Er warf ihr einen überheblichen Blick zu, hörte auf zu schnurren und sprang von ihrem Schoß.
      Das Mineralwasser hatte einen frischen, klaren Geschmack. Am Tage nahm sie nur wenig zu sich, und Alkohol rührte sie erst am Abend an. Das lag zum einen daran, daß sie ihr Gewicht unter der kleidersprengenden Grenze von hundertvierzehn Pfund halten wollte, und zum anderen konnte sie besser arbeiten, wenn sie ein leichtes Hungergefühl verspürte: als rege ein körperliches Gefühl der Leichtigkeit und Leere ihr Denken an. Sie beendete ihre Mahlzeit und stand auf, um einen Kaffee zu kochen. Da sie allein war, bereitete sie ihn mit einem Tauchsieder zu; dann öffnete sie ihre große Leinentasche.
      Es war eine Art Seesack mit etlichen Innentaschen, wasserabweisend und geräumig. Sie kramte einige Tonbänder hervor. Wie alle Kollegen mit einer eigenen Sendung wurde Rosa - obwohl ihr Programm fast keine Musik enthielt - von Solomusikern und Gruppen von Demobändern bombardiert. Neunundneunzig Prozent waren unerträglich: völlig unmusikalische Imitationen dessen, was den Durchbruch an die Spitze der Charts geschafft hatte. Das fehlende Prozent schien nie auf ihrem Schreibtisch zu landen. Die Bänder wurden zusammen mit einer kurzen Notiz und einer Liste der bekanntesten Plattenfirmen an die Absender zurückgeschickt. Guy hörte sich alle an.
      »Man kann ja nie wissen, Mom. Vielleicht ist ein zweites Spandau Ballet dabei.«
      Was Rosa betraf, war ein Spandau Ballet bereits zu viel. Sie drückte den Tauchkolben hinunter und schenkte sich Kaffee ein. Er roch köstlich. Die Oberfläche war von einer leicht öligen Schicht überzogen. Sie fügte ein wenig Kaffeesahne hinzu, nahm das Buch unter den Arm und verließ die Küche.
      Als sie die Treppe hinaufging, spürte sie die ersten Anzeichen einer emotionalen Wandlung, die ihre angenehme Wirkung nie verfehlte. Diese Wandlung erreichte ihren Höhepunkt, sobald sie sich in ihrem Arbeitszimmer an ihren Schreibtisch gesetzt hatte. Es begann mit dem allmählichen Abstreifen ihrer öffentlichen Persönlichkeit. Wie eine Schlange bei der Häutung legte sie mit jedem Schritt auf dem dicken Teppich ein Stück von Rosa Gilmour, Rundfunkmoderatorin und Mutter zweier Kinder ab; entledigte sich ihrer Rolle als Kindermädchen, Küchenchef, Chauffeuse und Vorsteherin einer »Bedürfnisanstalt«. Als sie an die glänzende weiße Tür kam, bebte sie vor Erwartung. Sie drückte die Klinke und betrat ihr Arbeitszimmer.
      Dieser Raum war allein ihr vorbehalten. Leo kam selten hierher. Die Kinder nie. Am Fenster stand ein riesiger Nußbaumschreibtisch mit acht Schubladen und einer grünen Schreibtischunterlage aus Leder, deren Ränder mit einem griechischen Friesmuster aus Gold verziert waren. Darauf stand eine schimmernde Vase von orientalischer Schlichtheit. Sie war mit getrockneten Judassilberlingen, Buchenzweigen und ein paar zerfledderten Mohnblumen gefüllt. Rosa setzte sich mit dem Rücken zum Fenster und trank einen großen Schluck Kaffee. Bevor sie das Buch aufnahm, zögerte sie einen Augenblick, um den Raum, der wie eine Tarnkappe wirkte und ihr anderes Ich unsichtbar machte, in sich aufzunehmen.
      Obwohl sie ihn vor sieben oder acht Jahren mit verschiedenen Möbelstücken eingerichtet hatte, die entweder selbst gekauft oder Erbstücke waren und aus völlig verschiedenen Epochen stammten, machte er einen ruhigen und harmonischen Eindruck. Einige der Stücke (einen viktorianischen Spiegel mit

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