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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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litt. Genug Geld, um ein angenehmes Leben zu führen, doch nicht soviel, daß Schuldgefühle aufkamen. Und genug Schlaf. Endlich. Sie erinnerte sich, wie sie das Kino in der Nähe ihrer Wohnung in South End Green besucht hatten. Ein seltener Genuß. Es wurde Jules et Jim gezeigt. Um sich herum sah Rosa die Mädchen ihre Köpfe auf zeitgemäße Weise gegen die Schultern ihrer Freunde legen. Im nächsten Augenblick hatte Leos Kopf auf ihrer Schulter gelegen, und kurz darauf war er fest eingeschlafen. Um es ihm so bequem wie möglich zu machen, hatte sie ihm den Mantel um die Schultern gelegt und sich den Film allein angesehen.
      Zu der Zeit hatte sie im letzten College-Semester französische Geschichte studiert. Sie hatte mit cum laude bestanden und hätte um nichts in der Welt ihr recht chaotisches Eheleben gegen ein möglicherweise besseres Prädikat eintauschen wollen (wozu sie auch heute noch stand).
      Camden Highstreet: fast zuhause. Gleich nach dem Abschluß hatte sie bei einem Historiker, der in The Albany wohnte, eine Stelle als Forschungsassistentin angenommen, die mit wenig Außendienst verbunden war. Eine ideale Beschäftigung für eine Frau, die zuhause auf ihr Baby aufpassen mußte. Er war von ihrer Arbeit beeindruckt und hatte sie seinem Neffen weiterempfohlen, der an einer Fernsehdokumentation über den Burenkrieg arbeitete und jemanden suchte, der das in den Bibliotheken bereits vorhandene Filmmaterial durchsah. Sie war scharfsinnig, arbeitete schnell und gründlich; er empfahl sie weiter, und die nächsten zwei Jahre vergingen auf angenehme und anregende Weise. Dann hatte Leo seine Ausbildung abgeschlossen und gleichzeitig eine Erbschaft gemacht.
      Eine unverheiratete Tante, die in Kent lebte und die er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte, war gestorben und hatte ihm die Hälfte ihres Vermögens hinterlassen. Die andere Hälfte hatte sie einem Tierheim für Esel vermacht. Das Komische dieser Situation verfehlte weder auf Leo noch auf Rosa ihre Wirkung, und sie verbrachten eine ausgelassene halbe Stunde damit, herauszufinden, für was sie das Geld verwenden würden, wenn das Tierheim ihnen gehörte. Obgleich ungewöhnlich, war ihre Liste umfassend: sie reichte von Hufeisen (bei schlechtem Wetter Gummistiefel) über wasserfeste Hüte zu Pudding mit Schlagsahne, von künstlichen Gebissen für die älteren Tiere bis zu beruhigender Musik für Esel, die aus kaputten Elternhäusern kamen. Bei Begriffen wie Eselei, Eselsbrücke oder Eselsserenade hatten sie sich vor Lachen kaum halten können, und obwohl er nichts verstand, hatte Guy in seinem Bettchen glücklich vor sich hingegluckst. Natürlich lachten sie manchmal noch gemeinsam, dachte Rosa ein wenig verteidigend, als sie vor ihrem Haus parkte, doch weniger häufig und bestimmt nicht über solchen Unsinn. Jeder mußte irgendwann erwachsen werden.
      Sie schloß den Wagen ab, blieb einen Moment auf dem Bürgersteig stehen und sah sich ihre Straße an. Selbst vor zwölf Jahren hatten diese Häuser teuer ausgesehen. Für die Anzahlung hatten sie Leos gesamtes Geld verwandt und dennoch eine beträchtliche Hypothek aufnehmen müssen. Obwohl er als Arzt und sie bei City Radio tätig war, wäre es ihnen heutzutage unmöglich, sich in Gloucester Crescent einzukaufen. Vor einigen Wochen war in ihrer Nachbarschaft ein Haus für hunderttausend Pfund verkauft worden.
      Sie ging zu dem griechischen Geschäft an der Ecke und kaufte sich ein Kebab zum Mitnehmen. Es war köstlich mariniertes Lammfleisch, gewürzt mit Oregano, in weiches Pita-Brot eingeschlagen, das mit Zwiebeln, Salat und Tomaten garniert und mit herrlich duftendem grünen Olivenöl besprenkelt war, dessen Geruch an die verbrannte Erde und die erbarmungslose Sonne Griechenlands erinnerte.
      Als sie die Haustür aufschloß, spürte sie sogleich, daß sie allein war, und fühlte sich erleichtert. Manchmal machten ihr die Anwesenheit von Mrs. Jollit und deren Alltagsgeschichten über die Leute von Fins-bury nichts aus; doch heute war es anders. Sie hatte das Buch, auf das sie so lange gewartet hatte, und wollte anfangen zu arbeiten. Sie ging in die Küche hinunter. Die Überreste der gemeinsamen Frühstücksschlacht der Gilmours waren wie durch ein Wunder verschwunden. Der Boden glänzte und die Küche war aufgeräumt und makellos sauber. Sie nahm ein großes Kelchglas von dem Holzregal neben dem Fenster, holte eine Flasche Perrier aus dem Kühlschrank, schnitt eine Zitrone auf,

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