Der Neid eines Fremden
sich Rosa, als ihr kindische Phrasen wie »Verdrück dich, Dickerchen« durch den Kopf schossen. Sie rollte ihr Fenster herunter und streckte ihren Kopf hinaus. Alles, was sie sehen konnte, waren zwei kürbisähnliche Rundungen, die von glänzendem blauen Leinenstoff zusammengehalten wurden. Sie begann zu kichern. Die Kürbisse verschwanden aus ihrem Blickfeld und wurden durch ein Gesicht ersetzt, das sie wütend anstarrte, als das Taxi davonfuhr. Rosa legte den ersten Gang ein und folgte ihm. Sie haßte es, im Stadtverkehr zu fahren, war heute aber wegen Kathys Zahnarzttermin dazu gezwungen. Der Besuch in der Bibliothek hatte die Heimreise noch zusätzlich erschwert. Sie fuhr die High Holbourn hinunter, kam dann über die St. Giles High Street zur Tottenham Court Road.
Sie beschloß, durch den Park nach Hause zu fahren. An den Bäumen hingen zwar noch vereinzelt Blätter, doch der Novemberhimmel war kalt und grau. Sie kam an dem metallenen Skelett der Voliere mit ihrem straff gespannten Drahtnetz vorbei und warf einen Blick auf die Giraffen, die hochmütig über die Koppel staksten und sich auf köstliche Weise über die Leute lustig machten, die vor dem Zaun standen.
Es war an der Zeit, daß sie und Leo wieder mit den Kindern in den Zoo gingen. Der letzte Zoobesuch lag bereits drei Jahre zurück. Vielleicht würden sie es am Sonntag schaffen.
Die Prince Albert hinunter und über die Primrose Hill. Als sie in ihre Wohngegend kam, entspannte sich Rosa zusehends. Leo und sie hatten schon immer im Norden von London gewohnt. Zu Beginn ihrer Ehe hatten sie im Dachgeschoß eines Mietshauses zwei kleine Zimmer bewohnt. Das Royal Free, das Krankenhaus, in dem Leo arbeitete, lag zehn Minuten Fußweg entfernt. Im Flur war ein Münzfernsprecher angebracht, den sie gemeinsam mit den Mietern der unter ihnen liegenden Wohnung benutzten. Ein oder zwei Möbelstücke waren von ihrer Mutter, den Rest hatten sie in einem Second-Hand-Laden in Gospel Oak erstanden. Leos Eltern, die aus unerfindlichen Gründen gegen die Ehe waren, hatten ihnen einen lächerlich pompösen Besteckkasten von Harrods geschenkt: ein zwölfteiliges Besteck mit einem kunstvollen Muster, das über die Griffe rankte. Sie benutzten es täglich, denn Rosa war es ein Vergnügen, das Besteck neben ihrem angeschlagenen, häßlichen Geschirr liegen zu sehen und es danach in das alte Emaillebecken zu werfen. Meist schrubbte sie es dann mit Vim und einem billigen Topfschwamm ab, aber es blieb unerträglich blank und bewahrte sein respektierliches Aussehen. Sie hatten ein verbeultes Küchenutensil, das einer Paellapfanne mit einem langen Griff ähnlich sah, von Leo jedoch einfach als »der Topf« bezeichnet wurde. In dieser Pfanne schmolzen sie Käse, kochten sie Sprotten, machten sie Pfannkuchen, brieten sie Würstchen und Bohnen an. Für Kartoffelpüree mußte sie ebenso herhalten wie für Backobst, und im Sommer hatten sie den grünen Salat darin angemacht. Eines Abends, als Rosa Leo die Teekanne an den Kopf geworfen hatte, hatten sie sogar Tee darin gekocht. Sie fragte sich, wo die Pfanne jetzt wohl sein mochte, und ob ein Liebespaar in einem Second-Hand-Laden darauf gestoßen war und sie mit nach Hause genommen hatte, in ein schäbiges Zimmer mit einem Babyphon gleich neben der Spüle und einem Küchenschrank, dessen eine Schublade ständig klemmte. »Um Himmels willen, Rosa, was ist mit dir los?« murmelte sie vor sich hin. »Sie muß schon seit Jahren hinüber sein.« Ihr fiel ein, daß Leo immer gesagt hatte: »Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.«
Sie hatten gegessen, wann immer es gepaßt hatte. Zwischen zwei Krankenhausschichten, kurz vor Leos Frühdienst. Sie erinnerte sich, wie sie eines Morgens um Viertel vor drei aufgewacht war und er mit zwei Tellern Currysuppe und einem Stapel Cornedbeefsandwiches neben ihr auf dem Bett gesessen hatte. Ihr gemeinsames Glück war von einer Intensität, wie sie sich gewöhnlich nur angesichts eines bevorstehenden Unglücks einstellt; Streitereien waren selten und von kurzer Dauer, aber sehr geräuschvoll. Hinterher, wenn sie sich geliebt hatten, war ihnen der Anlaß des Streits immer unglaublich albern vorgekommen. Manchmal konnte sich Rosa nicht einmal an ihn erinnern. Jetzt kam es nicht mehr zu Auseinandersetzungen. Warum sollte es auch? Sie hatten beide, was sie wollten. Genug Erfolg, um die mageren Zeiten vergessen zu können, doch nicht soviel, daß das Familienleben darunter
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