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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Treppe hinaufzusteigen, wobei er jedoch das Gefühl hatte, als sänken die einzelnen Stufen unter ihm weg. Oben angelangt, entkleidete er sich, zog seine Pyjamas an und legte sich ins Bett.
    Sie indessen eilte hinunter, mit etwas rastlosen Schritten hin- und herhuschend; dann kam sie wieder, brachte ihm einen kalten Umschlag, und man begann zu beratschlagen, was zu tun sei. Ein kurzes Gespräch in der Küche war vorangegangen, das durch einen entsetzten Aufschrei Madleens unterbrochen wurde.
    »Sie ist jetzt fort,« sagte Mildred, »um einen Arzt zu holen. Es soll hier in der Nähe einer wohnen.«
    Erwin nahm dies alles mit vollständiger Gleichgültigkeit entgegen. Ihm war, als schwebe er im Raum, als könne er sich mit süßer Anheimgabeder Geschäftigkeit anvertrauen, die sich um ihn herum entwickelte. Das kalte Tuch auf der Brust tat ihm wohl, und er verlor allmählich in einem Schlafe das Bewußtsein.
    Als er wieder erwachte, war ein Mann im Zimmer. Dieser drehte sich um und beugte sich mit gelbledernem Gesicht über ihn. Neben einer gebogenen Nase saßen zwei graue, kalte Augen, die sich forschend in seine zu senken mühten. Am Kinn hing ein spitzes Bärtchen, bleich und mit Tabak gefärbt, so, wie es die Farmer im Westen zu tragen pflegen. Auf einmal blitzte es Erwin mit Siedehitze durch den Kopf: das war ja gar kein Arzt, das war ja » Uncle Sam « selber, der sich da über ihn beugte: diese rechteckigen breiten Schultern, diese hagere Brust, dieser Adamsapfel und dieser Raubvogelkopf, dessen Hals sich mit ruckweisen Bewegungen am niederen Kragen wetzte!! – –
    Für einen Moment hatte er auch noch eine Vision von gestreiften Hosen und einem mit Sternchen geschmückten Biedermannsrock, der mit Vatermördern bis unter die Jochbeine der Augen wuchs ... Bei schärferem Blinzeln verblaßte das Kostüm. Ein einfacher, recht unsympathischer Landdoktor saß dort und stellte mit knarrender Stimme, wobei er gelbe Zähne zeigte, einige Fragen an ihn. Erwins Bauch wurde von harter Hand befühlt; seine Zunge inspiziert; und hierauf entnahm der Doktor einem Täschchen, mit demer sich längere Zeit beschäftigte, ein Glasröhrchen mit grünen Pillen und sprach: »Die grünen hier sind gegen das Fieber; ich habe auch noch gelbe, rote und blaue, doch die grünen werden genügen.«
    »Er will mir übel,« sann Erwin. »Es ist alles wie ein Spuk. Hat man je davon gehört, daß es farbige Krankheiten gibt?«
    Er verlor wieder halb das Bewußtsein, wobei es ihm vorkam, als mache der Mann, der Uncle Sam glich, eine schattenhafte Attacke auf ihn und entferne sich, eines besseren sich besinnend, mit gleichgültigem Achselzucken. Das letzte, was Erwin dachte, war: »Er kann mich nicht unterkriegen. Es fällt mir nicht ein, mich zu naturalisieren!! Ich bleibe, was ich bin!«
    Das murmelnde Gespräch, das der Arzt noch im Hinuntergehen mit Mildred führte, verlosch. Ein einziges Mal stieg noch ein silberner Schrei darauf aus, den Erwin sich nicht erklären konnte. Ein Automobil ratterte traumhaft fern und entschwand.
    Er erwachte, als die Sonne wiederum wagrechte hellgoldene Strahlen ins Zimmer schickte. Es schien Morgen zu sein. Mildred saß an seinem Bett. Die bläulichen Schatten unter ihren Augen hatten sich vertieft; ihr Gesicht hatte etwas Gespanntes. Sie war nur mit einem leichten Kimono bekleidet. »Mein lieber Freund,« sagte sie, »du hast Typhus; aber es ist auch möglich, daß er sich irrt. Auf alle Fälle hat er dein Blut insLaboratorium geschickt, und wir müssen äußerst vorsichtig sein.«
    »So so,« meinte Erwin. (Sein Fieber war gesunken, doch die Schwäche war zurückgeblieben.) »Das ist also Typhus! Wie gut, daß ich hier bin, ganz bei dir und nur dich um mich herum zu sehen bekomme. Wie scheußlich, wenn mir das in Catskill passiert wäre.« Mit einem Gefühl halber Erlösung: »Da haben wir es ja; das war es ja, was mir bevorstand. Ist das nun die erste Stufe oder ist dies alles?« Plötzlich fragte er ganz unvermittelt: »Ist der Hund noch da?«
    Mildred schüttelte den Kopf. »Er ist weggelaufen, seit gestern.«
    »Seltsam.« –
    »Du mußt dich jetzt ruhig verhalten, und wenn du mich brauchst, so klingele.«
    Sie entschwand wieder. Zu Mittag wurde ihm etwas flüssige Nahrung gebracht und Milch. Er genoß es mit Appetit. Er saß aufrecht im Bett und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Als sie nachmittags oben an seinem Bette ihr gewohntes Halma spielten, zitterte seine Hand nicht einmal. Doch sie

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