Der neue Daniel
entgegenwarf...:
»Ihr alle kennt mich! – Ich bin die Idee, die in euren Köpfen spukt und an sechs Enden der Welt zugleich –: die Idee der weißesten Frau ?!« –
Welch' ein nationaler Gedanke! Welche Vielfalt, und doch: welch' buntgescheckte Einheit! – – – Doch wo blieb nun der Zauber solchen Kaleidoskops? – War es erloschen? – Hatte eine intimere, rein persönliche Gewalt jetzt Besitzrecht über sie?! –
Sie war nicht unverwundbar.
Etwas Gewaltsames riß sie aus ihrer klaren, unantastbaren Pose.
Und doch lag in dieser Vergewaltigung ein süß lähmendes Gift, dem sich ihr abweisender Kopf demutsvoll neigte; ein Gift (und Arznei zugleich) – dem sie, die Spröde, ihre Lebenslinie opfern sollte!
Sie stand auf, ging im Zimmer umher und stellte sich vor den länglichen Schrankspiegel, der ihr den Umriß ihrer hochbeinigen, von schlanken Muskeln federnden Gestalt mild zurückwarf. Sie stemmte die Hände in die weiche Verjüngung der Hüften, bog das Gesicht vor und setzte die Zähne, wie sie es in Momenten äußerster Willensanspannung tat, fest in die volle Unterlippe. »Ich lasse ihn hier nicht verfallen«, flüsterte sie sich zu. – »Wenn ich ihn schleppen müßte, ich würde es tun... ohne Bedenken... Hier sitzt die Kraft...« Sie reckte sich auf; mit fernem Gefallen an sich selbst und an den wundervoll gleitenden Kurven ihres gestrafften Körpers. – Da war Blut ihres Vaters, der mit seiner »Arethusa« die Nord-Ost-Passage erobert, als sie noch, von Sehnsüchten geplagt, an einem Meere hockte, das ihr Hitze und Lähmung entgegenhauchte...
Ein sachter Ton der Glocke erscholl.
In ein paar gleitenden Sprüngen war sie drüben und drehte ihm das Kissen um, seinen fieberheißen, schweren Kopf in gekrümmtem Arme stützend. Die Minuten fielen für ihn klirrend mit dem metallnen Puls der Zikaden ins Nichts.
Sie kehrte zurück. Diese Nacht war lang und schwarz; von Vorahnungen und Zukunftsdrohungen schwangerer als alle zuvor. Was verband sie mit diesem Manne? Wer war er? Wie war es möglich, daß sein Bild sich dem Mosaik ihres Lebens harmonisch einfügen wollte trotz aller Kanten und Widersprüche?
Sechsmal hatten sie sich in Deutschland gesehn. Er war etwas unbeholfen, mäßig gut gekleidet, meistens auch in reizbarer Laune und unverbindlich gewesen. Doch es war, als ob von seiner starken Stirn eine zögernde, aber unentrinnbare Knechtung und Umkettung ihres Wesens vor sich gegangen sei. Sie hatte die Möglichkeiten in ihm gespürt.
Es war damals noch die Zeit der heiteren Durchwürflung, der zwanglosen Mischung der Nationen in den Salons der Alten Welt, völkische Gegensätze wurden durch menschliche Gemeinsamkeiten dicht verschleiert; man reichte sich noch die Hand, wo edleres Blut zusammentraf. Trotz Sprachverschiedenheit fanden Herz und Takt richtige Worte.
Dann kam dieser dämonische Wirrwarr zustande, diese entsetzliche um sich fressende Entwertung aller Beziehungen ... Trotz allem drang ihr Bild so fest in sein Wesen, und gab das seine ein so solides Relief des ihren, daß die Brücke zwischen ihnen nie zerstört erschien und er es wagen konnte, sie zu bitten, ihr Leben mit dem seinen zu verbinden; es wagen durfte in einem Moment, wo der tolle, schrille Aufschrei verblendeter Rasseninstinkte, aufgepeitschter Vorurteile wie eine Lohe gen Himmel stieg.
Durch all dies hindurch hatte seine ruhige Stimme den Weg übers Meer gefunden. Diese selbstverständliche Betonung ihrer Zusammengehörigkeit war ihr so unerhört fremdartig, sokeck, so geniehaft erschienen, daß sie ihm zögernd den Vorzug gab. Seinen Vorschlag, bis zum Ende des Krieges zu warten, wies sie ab. Seine Kühnheit reizte sie, ihm mit der gleichen Kühnheit zu begegnen; und so kam sie zu ihm herüber; – zwei Wochen nach der Torpedierung der Lusitania...
Da stand er auf der Werft von Hoboken; vor einem fremden Hintergrund; einsam vor einer fremden, ihm so entgegengesetzten Folie; mißmutiger offenbar denn je, blassen Gesichtes, in seiner etwas zu stämmigen Gestalt. War das ein Nervenzucken, was seine Kopfhaut zuweilen grundlos zerknitterte? – War es fassungslose Freude? – Und diese Kopfhaut unter kühler Hand zu glätten; die gigantischen Mißverständnisse der Welt im kleinen aufzulösen in die persönliche Harmonie des Zusammenseins –: dies reizte sie seltsamerweise nun noch mehr als seine fordernden Briefe. Bei ihrem Anblick war eine Veränderung über ihn gekommen, die ihn gleichsam kleiner machte, ihn wie
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