Der neue Daniel
brach mitten im Spiel ab und legte ihr Gesicht schluchzend in die Hände, so daß die Figuren hinunterrollten.
»Ach was, es ist bald vorüber; es läuft ganz programmäßig ab,« meinte er, um sie zu beruhigen. Ihr Schluchzen, schnell erstickt und mit einem straffen Aufrichten ihres kräftigen Rückensbeendet, hatte gerade in seiner beherrschten Kürze etwas Rührendes.
»Ja,« sagte sie. »Aber das Telephon ist ja noch nicht einmal da. Wie soll ich mich verständigen, wenn es schlimmer wird?« –
»Kommt der Arzt denn nicht zweimal täglich?«
»Ja; aber welch' ein Gefühl, daß man meilenweit nichts als – – sie suchte nach dem Wort – – freaks , – Mißgeburten, oder wie du es nennen willst um sich herum hat! – Nun, man muß eben noch einmal energisch werden.«
Auch ihn packte ein Grauen vor dieser Perspektive.
»Und wie soll man die Sachen schnell beschaffen, die du nötig hast? Du müßtest ins Hospital kommen; denn ich allein, weiß Gott, mit Madleen zusammen könnte es nicht machen. Sie ist schon halb verstört!«
Beide starrten sich an.
»Vorläufig weiß man ja noch nicht bestimmt, was mir fehlt,« beruhigte er sie endlich; sie ward ihrer Angst allmählich Herr und spielte die Partie zu Ende.
Sie trank Tee bei ihm. Sie vollführte diesen Teegenuß mit der Andacht einer Zeremonie. Sie betonte förmlich dadurch, daß sie sich nicht von ihren Gewohnheiten trenne, auch wenn die Welt in Stücke ginge. Alles stand appetitlich vor ihr aufgebaut, was sie benötigte: das Silber, die Kuchenschale, die Zuckerzange, und während sie aß, beobachtete er sie und freute sich an demechten Bild. Sie gebärdete sich, als sei sie allein in ihrem Hause in Sussex. Ihre Umgebung war nicht da, doch sie erschuf sie sich neu: kretonnebezogene Chesterfieldmöbel, einen dunklen Mahagonitisch, flache Fensterreihen und ähnliches mehr. Mitten drin saß sie schlank, blond und herb, gewissermaßen unerreichbar und in vielen Bedürfnissen trotz pikanter Fremdheit ihm tief verschwistert.
Die Übelkeit glitt von seiner Brust, als rette er sich bei drückender Hitze hinter die grüne Mauer eines Wasserfalles, dessen Wirbel in bedecktem Winkel köstlich kühle Luftströmung erzeuge. Etwas von dieser Klarheit schien in ihrem kristallenen Wesen verkörpert. Dann allmählich, als es gegen sechs Uhr zuging, verschwand das Gefühl.
Die Kühle war irgendwie verdrängt, als öffne man Türen, die zu heißen Räumen führen. Sein Wesen trat wieder langsam in die Schwüle des Fiebers zurück.
»Das hat nichts zu bedeuten,« sagte Mildred.
Innerlich wußte sie genau, daß die periodische Wiederkehr der Temperatur die Diagnose des Arztes zu bekräftigen schien. Am selben Abend schon glitt Erwin wieder in einen traumlosen Schlaf zurück und was sich während dieser Zeit abspielte, davon wußte und sah er nichts.
Mildreds Nacht
Mildreds Schlafzimmer war durch einen kleinen Vorplatz von dem Erwins getrennt.
Wenn man die Tür offen ließ, so konnte man die Atemzüge von allen Personen hören, die in diesem ersten Stock schliefen. Diese Nacht – – nie vergaß sie später diese Nacht – – entkleidete sie sich und blieb, nur von einem halb durchsichtigen Überwurf bedeckt, absichtlich wach. Mehr noch, nicht nur Absicht war es, was sie wach erhielt, sondern ein derartiger Schwall von Gedanken, wie sie ihn seit ihrer Kindheit nicht mehr gespürt zu haben glaubte.
Sie drehte die elektrische Nachtlampe an, die auf der Kommode stand und einen schwarzen trichterförmigen Schirm trug. Ein begrenzter Lichtkegel fiel in das kleine Gemach. Nach zwei Seiten hin waren die Fenster offen und nur von den Drahtgittern bedeckt. Die Läden waren herausgenommen. Die offene Tür fügte ein drittes schwarzes Loch hinzu, durch das das Außen hereinhauchen konnte.
Kindheitsbilder durchflogen sie schreckhaft, jenes unerklärliche Angstgefühl vor Abgründen. Doch sie hatte sich ja auf eine Insel von Licht gerettet, die der eigenen Hand und dem eigenen Leib wieder Berechtigung gab. Ein schmaler Wandspiegel ließ ihr bleiches Gesicht zurückschimmern.
Zunächst tat sie folgendes: sie vergewisserte sich, daß ein schußbereiter Revolver in der Schubladedes Nachttischchens lag. Hierauf entkorkte sie eine Flasche alten Kognaks und nippte ein Gläschen davon. Ihre Augen waren weiter aufgerissen als je im Tageslicht; aufgerissen von der Bereitschaft vor etwas Namenlosem, was sie aus diesen drei Mündungen der Dunkelheit aus anspringen würde; das sie nur
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