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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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zugrundeliege, der alles bestimmt und alles zu einem Teil eines vorherbestimmten und vorherbedachten Muster macht. Aber Husathirn hatte nirgendwo einen Beweis dafür gefunden. Und darum besaß er keinen moralischen Mittelpunkt, und er wußte dies; er vermochte jeden momentan nützlichen Standpunkt zu beziehen, konnte etwa an einem Tag für den Krieg sein, am nächsten Tag sich dagegen aussprechen, je nachdem, wie es die Umstände verlangten. Worauf es ankam, war einzig und allein, Macht und Bequemlichkeit für die eigene Lebensspanne zu erlangen, denn dieses eine kurze Leben war alles, was er hatte, und alles übrige war sowieso nur ein Witz.
    Er hatte einmal versucht, über diese Dinge tiefer mit Nialli zu sprechen, weil er sich davon versprochen hatte, ihr damit beweisen zu können, daß er und sie gemeinsame Überzeugungen hätten. Aber sie hatte ihn nur empört und bekümmert angeblickt und mit der eisigsten Stimme, die er je an ihr vernommen hatte, gesagt: »Du begreifst mich überhaupt nicht, Husathirn Mueri. Du hast nichts an mir verstanden.«
    Nun gut. Sei’s drum. Vielleicht hatte sie ja recht.
    Sehr gut begriff er allerdings, was für Implikationen die erstaunliche Information besaß, die seine Schwester Catiriil ihm heute gebracht hatte. Es verblüffte ihn, daß er so wenig überrascht war. Denn selbstverständlich war Thu-Kimnibol in den Norden gereist, um einen Krieg gegen die Hjjks zusammenzurühren; und natürlich war der kriegslüsterne Salaman nur allzu geneigt, mit ihm zu konspirieren, um den Krieg auf die Beine zu stellen. Und zweifellos würde Taniane ihre schwindenden Energien und ihre ganze noch immer beträchtliche Macht einsetzen, um eine Mehrheit bei der Abstimmung im Präsidium zu mobilisieren.
    Möglicherweise jedoch gab es da noch einen Weg, das zu verhindern. Eine dünne Chance, dachte er. Oder aber, wenn der Krieg denn wirklich unvermeidlich sein sollte, dann konnte man doch wenigstens die hinterhältige Rolle aufdecken, die Thu-Kimnibol dabei gespielt hatte, den Krieg anzuzetteln. Die Stadt konnte nur Schaden nehmen, wenn sie sich auf einen Krieg gegen dieses Wanzenvolk der Hjjks einließ. Es würde entsetzliche Verluste geben, und der Umsturz aller Lebensverhältnisse würde womöglich nicht wieder gutzumachen sein. Und als Nachspiel dieses Krieges würden jene, die ihn geschürt hatten, davon zermalmt werden, und jene, die vergeblich seine Vermeidung versuchten, würden zu Glanz und Größe emporsteigen.
    Husathirn Mueri lächelte. Mal sehen, was ich da tun kann, dachte er. Und mögen die Götter mir beistehen – falls es sie gibt.
    Sie waren wochenlang stetig nordwärts marschiert. In ihrem Rücken glitt die Welt wieder einmal fröhlich in den Frühling hinüber, aber hier, in den verlassenen Landstrichen jenseits von Vengiboneeza schien der Winter sich immer noch eisern festzuklammern. Zechtior Lukin war das gleichgültig. Wintereis und Sommerglut waren ihm einerlei. Er bemerkte die Jahreszeitenwechsel kaum, höchstens daran, daß zu bestimmten Zeiten im Jahr die dunklen Stunden länger andauerten.
    Sie waren jetzt ins graue Land vorgestoßen. Der Erdboden war grau, der Himmel war grau, und selbst der Wind, der aus dem Osten heranheulte, war grau von den Staubmassen, die er mit sich trug. Die einzigen Farbakzente schienen von der Vegetation zu kommen, die sich mit dumpfer Wut gegen das umfassende Grau zur Wehr zu setzen schien. Das grobe spärliche gezahnte Gras war aggressiv karminrot; die großen strammen rundköpfigen Schwämme leuchteten in tödlichem Gelb, und wenn man sie niedertrat, stießen sie explosionsartig Wolken leuchtend grüner Sporen aus; die Bäume waren groß und schlank, mit blauschimmernden dornenförmigen Blättern und trieften beständig von einem klebrigen viskosen Saft, der wie Säure brannte.
    In der Ferne bildeten niedere kalkige Berge wie Zahnstummel ganze Ketten. Das freie Land dazwischen war flach, dürr und wenig einladend: keine Seen, keine Bäche, nur hie und da sickerte eine brackige Quelle aus salzverkrusteten Spalten im Grund.
    »Also, wohin jetzt?« fragte Lisspar Moen. Sie war während des Tages der Zugfähnrich und übermittelte Zechtior Lukins Befehle den übrigen.
    Er nickte zu den Bergen hinüber und gab einen steten Nordnordost-Kurs an.
    »Hjjk-Gegend?« sagte sie.
    »Unser Land«, korrigierte er sie.
    Hinter ihm her zog über die graue Ebene die Schar der verbannten Akzeptänzer aus Yissou, dreihundert und vierzig an der Zahl

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