Der neue Frühling
ganze Welt anstecken. Aber vielleicht ist es ja auch der Wahnsinn der Welt, von dem die zwei angesteckt sind. Vielleicht sind wir schon zu weit in die falsche Richtung gegangen, und das ist die unvermeidliche Folge, und Thu-Kimnibol und Salaman sind die unserer Zeit angemessenen Führer.«
Boldirinthe saß vor Entsetzen starr da. Sie fühlte, wie ihr das Herz in den Tiefen ihres massigen Leibes raste.
Catiriil stand auf und nahm Simthala den Becher weg. Sie wisperte ihm ins Ohr, versuchte verzweifelt, seinen Furor zu dämpfen. Zuerst reagierte er zornig, doch dann schienen einige ihrer Worte ihn zu erreichen, er nickte, zuckte die Achseln und tuschelte freundlicher mit ihr, und kurz darauf schob sie ihm den Arm unter und führte ihn ruhig aus dem Raum.
Leise sagte Boldirinthe zu Staip: »Kann das wahr sein, was er sagt? Was meinst du? Wird es Krieg geben?«
»Ich genieße nicht das Vertrauen Thu-Kimnibols«, antwortete Staip gelassen. »Ich weiß darüber ebensowenig wie du!«
»Es darf keinen Krieg geben!« sagte sie. »Wer in der Präsidialversammlung wird sich für den Frieden stark machen? Husathirn Mueri bestimmt, das weiß ich. Auch Puit Kjai. Und Hresh, vielleicht. Und wenn sie mich reden lassen, werde ich es ganz gewiß tun. Und du? Wirst du sprechen?«
»Wenn Thu-Kimnibol den Krieg will, dann werden wir Krieg haben«, sagte Staip mit einer Stimme, die wie aus der andern Welt zu kommen schien. »Aber was regst du dich so auf? Wirst du in den Kampf ziehen müssen? Oder ich? Nein, nein, die Sache geht uns nichts an. Die Götter fügen und bestimmen alles. Das ist nicht unsere Sache, Boldirinthe. Wenn es Krieg geben soll, schön, sag ich, dann soll er halt kommen.«
»Krieg?« sagte Husathirn Mueri erstaunt zu seiner Schwester. »Ein Geheimabkommen mit Salaman? Eine künstlich bewirkte Provokation?«
»Simthala Honginda behauptet es fest und steif«, sagte Catiriil. »Er hat es vor Staip, vor Boldirinthe, vor der ganzen Familie gesagt. Den ganzen Tag lang hat das schon in ihm gekocht, und schließlich kam es dann raus. Aber er hatte schwer gepichelt, verstehst du?«
»Ob er das mir gegenüber wiederholen würde, wenn ich ihn aufsuche?«
»Also, sehr nahe steht ihr euch ja nicht grad, wie dir bekannt ist.«
Husathirn Mueri lachte. »Wie sanftmütig du bist. Was du meinst, aber nicht aussprechen magst, ist, daß er mich gründlich verabscheut. Nicht wahr, Catiriil?«
Sie zuckte fast unmerklich die Achseln. »Mir ist bekannt, daß ihr beide nie Freunde wart. Und was er beim Familiendinner sagte, das öffentlich zu machen, hat er wirklich nicht das Recht. Das grenzt doch schon an Landesverrat, nicht wenn einer Staatsgeheimnisse laut in die Welt trompetet? Er wird vielleicht keine Lust haben, dich in sein Vertrauen zu ziehen.«
»Kein Recht, der Öffentlichkeit zu enthüllen, daß man uns trügerisch in einen Krieg stürzt, der uns ruinieren wird, nur damit Thu-Kimnibol seiner Kampfeslüsternheit frönen kann? Das nennst du Verrat? Nein, Catiriil, Thu-Kimnibol ist derjenige, der Landesverrat begangen hat!«
»Ja. So denke auch ich. Deswegen bin ich ja damit zu dir gekommen.«
»Aber du bezweifelst, daß ich Simthala dazu bewegen könnte, mir selbst genauere Einzelheiten kundzutun.«
»Das bezweifle ich allerdings sehr, Bruder.«
»Gut. Gut. Für den Augenblick ist das schon höchst nützlich, zu wissen, was Thu-Kimnibol und Salaman da gemeinsam ausgeköchelt haben. Es gibt mir einen Ansatzpunkt.«
»Und mögen die Götter auf unsrer Seite sein, was immer kommen mag«, sagte Catiriil.
»Die Götter…«, sagte Husathirn mit einem leisen Kichern zu sich selber, als seine Schwester gegangen war. »Ja, wahrhaftig. Mögen die Götter auf unsrer Seite sein!«
Für mich sind sie weiter nichts als bloße Namen. So hatte Nialli Apuilana damals so verblüffend wild vor dem Präsidium getobt. Unsre eigenen Erfindungen, um uns in bedrängten Zeiten Trost und Halt zu geben… Husathirn hatte den Vorfall nie vergessen, auch nicht, was sie gesagt hatte.
Bloße Namen. Haargenau, was auch er dachte. In Wahrheit mußt er sich selbst für einen weitaus schlimmeren Fall von Ketzerei halten als Nialli, denn er glaubte an gar nichts, außer daß das Leben ein Aberwitz sei, ein grausam geschmackloser Scherz, eine Abfolge willkürlicher Ereignisse, und daß es für unser Dasein keinen Sinn braucht, als daß wir eben hier sind. Immerhin, Nialli hatte diesen Hjjk-Mythos geschluckt, daß der Welt eine Art kosmische Planung
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