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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Stadt Dawinno über Macht und Ansehen verfügen.«
    Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Verfügt noch irgendwer bei uns in Dawinno über Macht und Ansehen, Puit Kjai?«
    »Aber, Edle! Herrin, was sagst du da?«
    Taniane wandte den Blick ab. Die gespensterhaft intensiven roten Augen Puit Kjais waren ihr an diesem Tag einfach zuviel. Es kam ihr so vor, als lebte sie nun schon seit Jahren mit diesem Gefühl der seelischen Erschöpfung, aber heute schien sie fast das Stadium der Paralyse erreicht zu haben.
    Sie streichelte die Masken. Früher einmal hatten sie die Wand in ihrem Rücken geschmückt; doch vor einer Weile – kurz nachdem Nialli in den Krieg gezogen und Hresh verschwunden waren – hatte Taniane sie abgenommen und vor sich auf den Arbeitstisch gelegt, wo sie sie leicht sehen und sie berühren konnte, wenn ihr danach war. Sie brachten ihr Trost und, so glaubte sie, verliehen ihr Kraft. In den Tagen des Kokons, hatte Boldirinthe ihr einmal erzählt, hatte es einen gewissen schwarzen Stein gegeben, der in der Zentralkammer in die Wand eingelassen war und der dem Andenken sämtlicher früherer Häuptlinge des Stammes geweiht gewesen war. Koshmar pflegte diesen Stein zu berühren und zu ihren Vorgängerinnen zu beten, wenn sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Dieser schwarze Stein war im Kokon zurückgeblieben, als der Stamm seinen Auszug machte. Jetzt wünschte sich Taniane, sie hätten ihn mitgenommen. Aber wenigstens hatte sie die Masken.
    Nach einigem Zögern sagte sie zu Puit Kjai: »Gut. Also rede weiter. Wer sind die Anführer und Hintermänner dieser aufrührerischen Bewegung?«
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Aber du bist gewiß, sie planen einen Aufstand?«
    Puit Kjai zuckte die Achseln. »Die Slogans kommen aus den Bethäusern, den religiösen Versammlungsorten des niederen Volkes. Ich erfahre dies alles von der Tochter des Neffen eines alten Reitknechts im Stall meines Sohnes. Der Kerl gehört zum Bethaus von Tikharein Tourb.«
    »Die Tochter des Neffen eines Stallknechts…«
    »Eine fragwürdige Beweiskette, gewiß. Aber was man mir berichtet ist, daß sie vorhaben, Thu-Kimnibol nach seiner Rückkehr aus dem Krieg umzubringen, es sei denn, daß die Hjjks ihnen da zuvorkommen, daß man auch dich zu liquidieren beabsichtigt, und mich und nahezu alle übrigen aus dem Präsidium, außer denen, die sie verschonen wollen, damit sie vor der Stadt als Regierung in ihrem Namen auftreten können. Und dann wollen sie Frieden schließen mit den Hjjks und sie um Verzeihung anflehen.«
    »Du sagst das, als hättest du selber niemals für den Frieden mit den Hjjks gesprochen, Puit Kjai.«
    »Keinen derartigen Frieden. Nicht, wenn es mit gewalttätigen blutigen Säuberungsaktionen unter den Hochgeborenen verbunden ist. Und, Edle, diese Gerüchte über eine Konspiration sind wahrhaftig keine Hirngespinste. Ich argwöhne, daß diese Leute bereits Hresh beseitigt haben.«
    »Nein!« fuhr Taniane ihn heftig an. »Hresh lebt.«
    »Wirklich? Wo ist er dann?«
    »Weit fort von hier, glaube ich. Aber ich weiß, er lebt. Zwischen ihm und mir, Puit Kjai, besteht eine Bindung, die über jegliche Entfernung hinwegreicht. Ich spüre ihn dicht an meiner Seite, wie weit entfernt er auch sein mag. Nein, Hresh ist nichts zugestoßen. Dessen bin ich sicher.«
    »Möge Nakhaba gnädig gewähren, daß es so ist«, sagte Puit Kjai.
    Sie starrten sich gegenseitig eine Weile stumm an. Der mächtige alte Anführer der Beng stand so hochaufgereckt da, daß seine Helmzier fast an die Decke stieß. Ein hagerer, dürrer Mann, aber in seiner Fleischlosigkeit irgendwie besonders majestätisch. Verschwommen erinnerte sie sich an Puit Kjais Vater, den Uralten und Weisen der Behelmten, Noum om Beng, zu dem Hresh gegangen war, um Weisheit zu lernen. Puit Kjai wurde dem Alten immer ähnlicher seit einiger Zeit: die gleiche starre und dabei zerbrechliche Gestalt, und seine Überlänge, die über seine Schmalheit hinwegtäuschte. Der Helm, den er diesmal trug, war schwarz, und knorrige goldene Geweihsprossen wuchsen aus ihm empor.
    Schließlich sagte Taniane: »Ich werde mich um diese Gerüchte kümmern. Wenn du noch weitere hörst, komm sofort zu mir.«
    »Mein Wort darauf, Edle.«
    Er entbot ihr den Segen Nakhabas und ging.
    Dann saß sie still da, die Hände noch immer auf ihren Masken.
    Zweifellos steckte etwas Wahres hinter der Geschichte, die er ihr da berichtet hatte. In jüngster Zeit grassierte dieser Kundalimon-Glaube

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