Der neue Frühling
immer wilder in der Stadt. Warum sollten die Anführer nicht den Versuch unternehmen, dem Krieg durch einen Staatsstreich ein Ende zu machen? Sie hatten ja keinerlei Opposition hier zu befürchten. Thu-Kimnibol und seine restliche Parteifraktion waren an der Front und kämpften, Hresh war verschwunden, und was an jüngeren Männern noch in der Stadt verblieben war, hatte sich anscheinend samt und sonders dieser Sekte angeschlossen: Sie selbst gab sich nicht einmal mehr den Anschein, als übe sie Autorität aus. Irgendwie, schien ihr, war die Welt an ihr vorbeigerauscht, hatte sie überholt, und die Ereignisse waren über ihr Begriffsvermögen hinausgewachsen, und sie verstand nichts mehr. Es wird wirklich allmählich höchste Zeit, daß ich Platz mache, dachte sie. Genau wie diese Steineschmeißer es ihr verdeutlicht hatten. Noch ehe es zum Krieg kam. Aber wem sollte sie Platz machen? Sollte sie die Stadt diesen Kundalimon-Priestern ausliefern? Ach, wie sehr sie sich wünschte, Thu-Kimnibol käme zurück! Aber der mußte ja weit weg Hjjks umbringen – oder sich vielleicht von ihnen umbringen lassen. Und Nialli war bei ihm!
Taniane ruckte mit dem Kopf her und hin. Sie war es leid, dieses ganze Durcheinander, in dem sie leben mußte. Sie sehnte sich nach Ruhe.
Und diese andere Sache, diese dumpfe Beklemmung, die sie seit heute in der Brust spürte – was war das nur? Als würde sie von innen her ausgehöhlt. Eine Krankheit, ja? Ihr fiel ein, wie damals in Vengiboneeza Koshmar auf einmal so leicht ermüdete, und wie sie Hresh eingestand, daß sie ein Brennen in der Brust verspüre, und fiebrige Schmerzen hatte; und bald darauf war sie tot. Und jetzt kommt also meine Stunde um die Ecke gekrochen, dachte Taniane. Sie überlegte, ob sie Boldirinthe zu einer Heilung aufsuchen solle, und dann fiel ihr ein, daß Boldirinthe ja schon tot war. Einer nach dem ändern starben sie ihr weg. Koshmar. Torlyri. Boldirinthe…
Aber sie spürte ja schließlich nur so eine taube Stelle, kein Brennen, keinen Schmerz. Sie verstand es einfach nicht. Sie konzentrierte sich auf ihr Leibesinneres und suchte nach der Ursache.
Doch in eben diesem Augenblick verschwand das dumpfe Gefühl, dieser immer stärkere Druck, der sie seit Tagesanbruch geplagt hatte. Sie spürte, wie es verschwand, es war das plötzliche verblüffende Fehlen von Unbehagen, als zerreiße eine zu straff geknotete Schnur. Aber dann stellte sich ein noch bedrückenderes Gefühl ein: das eines Mangels, einer trostlosen Leere, schmerzhaft und stechend, ein gräßliches schwarzes Loch. Sie begriff sofort, was es war, und ein Schaudern überkam sie, daß ihr das Fell sträubte. Trostlos begann sie zu weinen. Der Gram brach in immer neuen Wellen über sie herein. Zum erstenmal seit über vierzig Jahren konnte sie Hreshs Gegenwart nicht mehr in ihrem Herzen fühlen. Er war fort. Für immer dahin.
Im Schein des funkelnden pockennarbigen Mondes wirkte das Schlachtfeld eisig-starr und unbewegt wie ein riesenhafter Gletscher, auch dort, wo der Boden von den jüngsten Kämpfen aufgewühlt und kraterübersät war. Thu-Kimnibols Männer krochen vorsichtig über die zerschrundete Erde und holten die Leichen der an diesem Tag Gefallenen zurück. Nialli blickte über sie hinweg zum Horizont, wo sie die Lagerfeuer der Hjjks lodern sehen konnte. Momentan war eine Gefechtspause eingetreten; aber mit dem neuen Morgen würde alles von neuem beginnen.
Thu-Kimnibol lachte rauh. »Ein Krieg der Alpträume und Gespenster! Wir schleudern Flammen und Wirbel gegen sie. Sie beschmeißen uns mit Illusionen. Wir schlagen mit unseren eigenen Gegenillusionen zurück. Feinde, die einander nicht ins Auge blicken können und blind herumtapsen.«
Sie spürte, wie erschöpft er war. Er hatte wildwütend gekämpft an dem Tag und seine Männer auf sämtlichen Sektoren des Schlachtfelds immer neu konzentriert, als eine Phantomwaffe nach der anderen über sie hereinbrach, genau wie Salamar ihn gewarnt hatte. Wiederholt war er seinen Leuten vorangestürmt durch irgendein Streufeuerfeld, irgendeine heranbrausende Horde gemeiner Ungeheuer, durch Fluten und Lawinen, durch einen blutigen Regen und einen Hagelsturm von Eisdolchen. Es war sein Ziel, sich in eine Position zu manövrieren, aus der heraus er mit seinen Großwelt-Waffensystemen den Hjjks wirklich schwere Verluste zufügen konnte; doch dies hatten sie inzwischen wohl begriffen und umtanzten ihn, versteckten sich hinter Illusionen und setzten seinem Heer
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