Der Neue Frühling
und behauptet, eine zu sein.« Das vertiefte die Stille; sich unrechtmäßig als Aes Sedai auszugeben verstieß gegen ein Burggesetz, das strikt durchgesetzt wurde, und zwar selbst gegen Frauen, die nichts mit der Burg zu tun hatten. »Aber es gibt Schurken, die nur das Gesicht einer jungen Frau sehen werden. Sie könnten es für eine einfache Beute halten, wäre da nicht eure Eskorte. Es ist besser, die Verlockung gar nicht erst entstehen zu lassen und das Problem ganz zu vermeiden. Und vergesst nicht, dass Kinder des Lichts beim Heer sind. Ein Weißmantel wird die Tracht einer Aufgenommenen erkennen, wenn er sie sieht, und wenn er ihr ohne eigene Gefahr einen Pfeil in den Rücken schießen kann, dann wird ihn das genauso erfreuen, als würde es sich um eine Aes Sedai handeln.«
Es erschien kaum möglich, dass es im Saal noch stiller werden konnte, aber es geschah. Moiraine glaubte, die Frauen atmen hören zu können, nur dass keine zu atmen schien. Wenn eine Aes Sedai in die Welt hinauszog und verschwand, was manchmal geschah, galt der erste Gedanke immer den Weißmänteln. Die Kinder bezeichneten Aes Sedai als Schattenfreunde und behaupteten, dass das Berühren der Einen Macht eine Blasphemie darstellte, die nur durch den Tod gesühnt werden konnte, ein Urteil, das sie nur zu gern ausführten. Niemand hatte verstehen können, warum sie gekommen waren, um bei der Verteidigung Tar Valons zu helfen. Jedenfalls keine der Aufgenommenen.
Die Amyrlin ließ den Blick langsam die Reihen entlanggleiten. Schließlich nickte sie, zufrieden, dass die Warnung auf fruchtbaren Boden gefallen war. »Im Weststall sattelt man Pferde für euch. In den Satteltaschen wird Essen für das Mittagsmahl sein und alles andere, was ihr braucht. Jetzt kehrt in eure Zimmer zurück und holt eure Umhänge. Es wird ein langer Tag für euch werden, und ein kalter. Geht im Licht.« Es war eine Entlassung, und alle machten einen Knicks, aber als sie zur Tür gingen, ergriff die Amyrlin noch einmal das Wort, als wäre ihr gerade noch etwas eingefallen. »Ach ja.« Die Worte ließen jeden stehen bleiben. »Wenn ihr den Namen der Frau niederschreibt, notiert auch den Namen des Säuglings und sein Geschlecht, den Tag, an dem er geboren wurde, und den genauen Ort. Die Unterlagen der Burg müssen genau sein. Ihr dürft gehen.« Gerade so, als wäre das, was sie zuletzt gesagt hatte, nicht das Wichtigste von allem gewesen. So verbargen Aes Sedai Dinge in aller Öffentlichkeit. Manche behaupteten, die Aes Sedai hätten das Spiel der Häuser erfunden.
Moiraine konnte nicht widerstehen, einen aufgeregten Blick mit Siuan zu wechseln. Siuan hasste alles, was auch nur im geringsten mit Schreibtischarbeit zu tun hatte, aber sie grinste breit. Sie würden dabei helfen, den Wiedergeborenen Drachen zu finden. Natürlich nur seinen Namen und den der Mutter, aber das kam einem Abenteuer so nahe, wie eine Aufgenommene nur hoffen konnte.
KAPITEL 4
Außerhalb der Burg
Moiraines Zimmer unterschied sich kaum von Siuans Gemach. Ihr kleiner rechteckiger Tisch, auf dem vier Bücher lagen, und die beiden ungepolsterten hochlehnigen Stühle hätten aus dem gleichen Bauernhaus stammen können wie Siuans Einrichtung. Ihr Bett war schmaler, ihr illianischer Teppich rund und mit einem Blumenmuster versehen, während auf ihrem Waschständer es die Schüssel war, die irgendwann in der Vergangenheit einen Schlag abbekommen hatte. Der Spiegel hatte in einer Ecke einen Sprung. Davon abgesehen hätte es dasselbe Zimmer sein können. Sie machte sich nicht die Mühe, ein Feuer zu entzünden. Sie hatte ihre Kohlen sorgfältiger bedeckt als Siuan, aber es war keine Zeit, um die Kälte im Raum auch nur geringfügig zu verdrängen.
Sie griff in ihren Kleiderschrank, der nur unbedeutend größer als Siuans, aber genauso schlicht war, und holte ein Paar fester Schuhe hervor, die sie das Gesicht verziehen ließen. Hässliche Dinger, deren Leder bedeutend dicker als bei ihren Slippern war. Mit den Schnürriemen hätte man einen Sattel flicken können. Aber die Schuhe würden ihre Füße im Schnee trocken halten, die Slipper hingegen nicht. Sie holte noch ein Paar Wollsocken hervor und setzte sich auf den Rand ihres ungemachten Bettes, um sie über die zu ziehen, die sie bereits trug. Einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, auch noch ein zweites Unterhemd anzuziehen. Wie kalt es auch in der Burg sein mochte, dort, wo sie hinging, würde es noch kälter sein. Aber die Zeit war knapp.
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