Der Neue Frühling
größtenteils schmucklos. Moiraine vermutete, dass Frauen, die vor hundert Jahren Aufgenommene gewesen waren, alles in dem Raum wiedererkannt hätten. Vielleicht sogar vor zweihundert Jahren. Das schmale Teetischchen neben der Tür, dessen Beine mit einem seltsamen Muster verziert waren, war möglicherweise sogar noch älter, und an einer Wand hing ein Spiegel, dessen Rahmen noch verblichene Überreste seiner Vergoldung aufwies. An der anderen Wand stand ein schmaler Schrank, den sie mit ihrem Blick mied. Dort wurden Riemen und Rute aufbewahrt, zusammen mit einem Schuh, der in gewisser Weise noch schlimmer war.
Zu ihrer Überraschung stand Merean, statt hinter ihrem Schreibtisch zu sitzen. Sie war hoch gewachsen – Moiraine reichte ihr nur bis zu dem feisten Kinn –, und das ziemlich ergraute Haar war im Nacken zusammengefasst; der mütterliche Ausdruck auf ihrem Gesicht übertönte fast die Alterslosigkeit ihrer Züge. Das war einer der Gründe dafür, dass die meisten jungen Frauen, die hier zur Ausbildung waren, sich an Mereans Schulter ausweinen konnten, obwohl sie sie oft genug auch zum Weinen brachte. Sie war auch nett und sanft und verständnisvoll. Solange man nicht gegen die Regeln verstieß. Merean hatte definitiv das Talent, das herauszufinden, was man auf jeden Fall verbergen wollte.
»Setzt Euch, Kind«, sagte sie ernst.
Moiraine setzte sich misstrauisch auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Es musste irgendeine schlechte Nachricht sein. Aber welche?
»Es gibt keine Möglichkeit, diese Angelegenheit einfach zu machen, Kind. König Laman ist gestern getötet worden, zusammen mit seinen beiden Brüdern. Vergesst nicht, dass wir alle Fäden im Muster sind und dass das Rad webt, wie es will.«
»Das Licht erleuchte ihre Seelen«, sagte Moiraine mit tiefem Ernst, »und mögen sie in der Hand des Schöpfers Zuflucht finden, bis sie wiedergeboren werden.«
Merean hob die Brauen, zweifellos überrascht, dass sie bei der Nachricht vom Tod dreier Onkel an einem Tag nicht in Tränen ausgebrochen war. Aber Merean hatte Laman Damodred nicht gekannt, einen kühlen, vom Ehrgeiz zerfressenen Mann. Moiraine war der Ansicht, dass er unverheiratet geblieben war, weil selbst die Aussicht, Königin von Cairhien zu werden, nicht ausgereicht hatte, dass eine Frau ihn nahm. Moressin und Aldecain waren noch schlimmer gewesen; jeder von ihnen hatte das Temperament von zehn Männern gehabt, und sie hatten es in Wut und Grausamkeit zum Ausdruck gebracht. Und in Verachtung für ihren Vater, weil er Gelehrter war, weil er eine andere Gelehrte zur zweiten Frau genommen hatte, statt sich entsprechend zu vermählen, um Haus Damodred Ländereien oder Einfluss zu bringen. Sie würde für ihre Seelen beten, aber sie verspürte mehr Trauer für Jac Wynn als für alle drei ihrer Onkel zusammen.
»Der Schock«, murmelte Merean. »Ihr leidet unter dem Schock, aber das wird sich geben. Wenn es so weit ist, kommt zu mir, Kind. Bis dahin müsst Ihr morgen nicht ausgehen. Ich sage der Amyrlin Bescheid.« Die Oberin der Novizinnen hatte das letzte Wort, wenn es um Novizinnen und Aufgenommene ging. Es musste Merean geärgert haben, dass Tamra sie aus der Stadt geschickt hatte, ohne sich vorher mit ihr zu beraten.
»Danke für Eure Freundlichkeit«, sagte Moiraine schnell, »aber bitte nicht. Die Arbeit wird helfen, genau wie mit Freundinnen zusammen zu sein. Wenn ich morgen zurückbleibe, werde ich ganz allein sein.«
Merean schien ihre Zweifel zu haben, aber nach ein paar weiteren tröstenden Worten – Worte, die den Schmerz lindern sollten, den Moiraine ihrer festen Meinung nach verbarg –, ließ sie sie in ihr Zimmer zurückkehren. Dort fand Moiraine ihre beiden Öllampen brennend vor und ein Feuer im Kamin prasseln. Zweifellos Siuans Werk. Sie dachte darüber nach, ihr einen Besuch abzustatten, aber zweifellos schlief sie bereits tief und fest.
Das Abendessen würde noch mindestens eine Stunde in den Speisesälen erhältlich sein, aber sie stellte den Gedanken an Essen zurück und verbrachte die Zeit damit, auf den Knien für die Seelen ihrer Onkel zu beten. Eine Buße. Sie wollte keine der Schwestern werden, die bei jeder Gelegenheit Buße taten – sie nannten es in ihrem Leben das Gleichgewicht zu bewahren; Moiraine nannte es eitle Dummheit –, aber sie sollte etwas wegen des Verlusts ihrer Verwandten fühlen, so schrecklich sie auch gewesen sein mochten. Es war falsch, wenn es anders war. Sie stand erst auf, als der Zeitpunkt
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