Der Neue im Sportinternat
von Lori von Rothenbach, die von einem Akt der Unmenschlichkeit gesprochen hat, der Nils in seiner Menschwürde verletzt.
Um einen gewissen Schein zu wahren, ließ Winkler halbherzige Befragungen durchführen. Deren Ergebnis ist, dass niemand etwas gesehen haben will. Kein einziger Internatsschüler will etwas bemerkt haben. Winkler höchstpersönlich hat Nils befragt. Nils gab an, dass er von mehreren vermummten Personen, die sich mit Handzeichen verständigt haben, im Schlosspark überfallen wurde. Damit wurde eine Identifizierung mittels Stimme unmöglich. Er wurde überwältigt, und ihm wurden die Augen verbunden. Nils wurde mit einem Messer bedroht; die Klinge wurde ihm am Hals angelegt wie eine Rasierklinge. Er musste sich ausziehen. Mit Fußtritten haben ihn seine Peiniger wie ein Stück Vieh vor sich hergetrieben, bis sie ihn an den Baum fesselten.
Um sich von seinem Kreislaufkollaps und dem Schock zu erholen, ist Nils für einige Tage im Krankenhaus geblieben. Seine Eltern reagierten entsetzt und wollten Nils sofort vom Internat nehmen. Nils sprach sich dagegen aus und bestand darauf, dass er das Schuljahr im Internat beenden darf. Das war ein regelrechtes Tauziehen mit seinen Eltern, weil die nicht einverstanden waren. Nils drohte ihnen mit einer totalen Verweigerungshaltung. »Ich werde alles Essbare in mich hineinstopfen und nichts anderes mehr machen!«, kündigte er als Konsequenz an. Damit hat er nicht nur seine Eltern überrascht, sondern auch Winkler. Winkler hätte gern gesehen, dass Nils nicht mehr aufs Schloss zurückgekehrt wäre. Er sprach sich vehement dagegen aus, bewertete eine Rückkehr als psychisch zu belastend und traumatisierend. Dahinter versteckte sich nichts anderes, als die einmalige Gelegenheit, Nils loszuwerden. Nils verwies auf seine Androhung. Winkler musste sich geschlagen geben. Aus rein pädagogischen Gründen musste er gute Miene zum bösen Spiel machen. Allerdings erkannte Winkler sehr schnell das Positive darin und witterte eine gute Gelegenheit, um mit den Eltern von Nils ein Übereinkommen zu treffen. Als Zustimmung seitens der Internatsleitung machte Winkler zur Voraussetzung, dass die elterliche Diskretion gewahrt wird. Zähneknirschend stimmten die Eltern von Nils zu. Sie waren sich einig, dass Nils genug gelitten hatte, und wollten, trotz ihrer Verständnislosigkeit, seinen Wunsch respektieren. Winkler hatte wieder einmal Glück! Sein Deckmantel des Schweigens kam erfolgreich zum Einsatz!
Leon versteht die Welt nicht mehr. Wie kann Nils freiwillig an dem Ort bleiben, wo er seinen Peinigern täglich begegnet, ohne zu wissen, wer die eigentlich sind? Das kann Leon nicht nachvollziehen. Die seelische und nervliche Belastung muss immens sein. Wieso setzt sich Nils dem freiwillig aus? Leon findet keine Antwort darauf!
Die Tatsache, dass er mit der Schilderung seiner nächüichen Beobachtungen zur möglichen Klärung beitragen könnte, löst in Leon einen Zwiespalt aus. Einerseits möchte er Nils helfen, andererseits sieht er ohne die nötigen Beweise keine Chance. Das frustriert Leon. Wie soll er sich verhalten? Soll er es einfach riskieren und den Mund aufmachen? Wäre es klug, eine Behauptung in den Raum zu werfen, um aufzurütteln und eine Reaktion zu provozieren? Käme es überhaupt zu einer Reaktion? Möglicherweise würde er mit einer Provokation Falko nur warnen und ihn ungewollt zur Vorsicht mahnen. Mit Sicherheit würde Falko subtiler vorgehen. Was für ein Ärger! Leon hat was gesehen und muss es doch vorerst für sich behalten.
Eine letzte Möglichkeit wäre Adrian. Ihm könnte er sich anvertrauen. Adrian engagiert sich für Nils und ist ohne Wenn und Aber auf seiner Seite. Obendrein will er nach wie vor, dass der Täter gefunden und zur Rechenschaft gezogen wird. Dennoch ändert das rein gar nichts an der Situation, schließlich kann Leon sich keine handfesten Beweise aus dem Ärmel zaubern.
Antimensch. Was für ein Unwort! Leon sieht immer wieder das Bild vor sich, wie Nils nackt am Baum gefesselt ist, die Papptüte über dem Kopf, und sein schwerer Körper in sich zusammengesackt. Leon stellen sich die Nackenhaare auf, weil es für ihn absolut nicht nachvollziehbar ist, wie jemand so pervers sein kann.
Leon muss an den Geschichtsunterricht und an Platus denken. Die Erkenntnis ist beängstigend und gleicht einer weiteren Desillusionierung, denn in Platus Worten liegt Weisheit und Wahrheit: Homo homini lupus; der Mensch ist dem Menschen ein Wolf!
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