Der Neue im Sportinternat
Faible für Schlägertypen? Turnt dich das an?« Leon deckt sich bis zum Kinn zu, dreht sich um und zwar weg von Hakan, damit er nicht dessen Blick ausgesetzt ist. »Du glaubst mir nicht. Okay. Ich hab dir nix mehr zu sagen. Halt! Stop! Stimmt nicht ganz. Gute Nacht!«
Hakan sieht ein, dass es keinen Sinn macht, mit Leon auf sachlicher Ebene zu reden. Er macht das Licht aus und wünschte, er hätte die Klappe gehalten. Denn in diesem Moment ist Leon für ihn so nahe und doch so fern!
Es hämmert gegen die Zimmertür. Noch schlaftrunken blinzelt Hakan auf seinen Funkwecker. Kurz vor 7! Leon richtet sich auf, sieht Hakan fragend an.
»Leon! Hakan!«, ruft Nils und hämmert fleißig weiter gegen die Tür. »Macht auf! Los!«
»Vielleicht brennt der Dachstuhl!«, kaspert Hakan.
Leon steht auf, öffnet die Tür.
Nils ist völlig aufgebracht. »Ihr müsst euch anziehen und mit mir rauskommen. Schnell!«
»Was hast du?«
»Stell jetzt keine Fragen! Zieh dich einfach an, irgendwas, ganz gleich. Hauptsache, es geht schnell!« Nils schiebt den Kopf durch die Tür ins Zimmer. »Hakan! Los! Du auch!«
Da Nils dermaßen aufgebracht ist, stellen weder Leon noch Hakan irgendwelche Fragen. Sie springen in ihre Sportklamotten. Einen Morgen mit Hektik zu beginnen, stresst für den ganzen Tag. Nils lässt nicht locker und drängt. Dabei legt er einen Tonfall an den Tag wie ein General auf dem Appellhof! Im Spurt folgen Leon und Hakan Nils nach draußen vor das Schloss. Adrian, Mateo und einige andere Internatsschüler haben sich dort versammelt und starren auf die Wand. In Großbuchstaben ist dort hingeschmiert: SCHEISSKANACKE GO HOME! DEUTSCHLAND DEN DEUTSCHEN!
Geschockt schaut Hakan auf die Wand, liest immer wieder das Geschmiere. Nach dem ersten Schock ist er einfach nur noch bestürzt und wütend. Er blickt zu Leon, dann zu Mateo. An diesem Morgen erscheint Schloss Drachenfels wie ein Pfuhl aus undurchschaubaren Intrigen, Heimlichkeiten, Lügen und rechtem Gedankengut.
Wenn der Wind sich dreht
Mit rasendem Herzen und einer gewaltigen Dosis Melancholie steht Leon vor Winklers Bürotür. Er schaut auf das Messingschild, das an der Tür angebracht ist, und liest: Armin Winkler, Internatsleiter. Leon erinnert sich daran, wie er vor vielen Wochen zum ersten Mal durch diese Tür geschritten ist und im wahrsten Sinne des Wortes sein Inneres auf Winklers Schreibtisch ausgeschüttet hat, indem er sich übergab. Im Rückblick muss Leon bekennen, dass er viele schöne Momente auf Schloss Drachenfels erlebt hat. An Abschiednehmen mag er gar nicht denken. Aber noch ist es nicht so weit. Leon wird sich der Anschuldigung stellen müssen und sich rechtfertigen. Winkler wird ein Urteil sprechen, dem Leon sich fügen muss - schuldig oder nicht!
Leon atmet tief ein. Ein Weg ist ein Weg - auch im Nebel!, hört er die Stimme seiner Großmutter flüstern. Ermutigung dank Imagination! Ein Nebelhorn oder eine überdimensionale Nebellampe wäre sehr hilfreich! Doch solange es einen Weg gibt, existiert Hoffnung!
Es braucht Mut und Überwindung an die Tür von Winkler zu klopfen. Leon würde den Moment gern in die Länge ziehen, um die Unterredung hinauszuzögern. Aber wozu soll das gut sein? Er muss sich dem stellen. Dem Unausweichlichen kann niemand entkommen! Leon klopft an, genau zweimal. Er wartet.
»Ja, bitte!« Winkler fordert zum Eintritt auf.
Es ist so weit!, denkt Leon und öffnet die Tür. Winkler sitzt hinter seinem massiven Schreibtisch. Vor ihm liegt eine Akte, Briefe, eine Tageszeitung. Daneben steht eine große Tasse Kaffee; Dampf steigt empor und löst sich auf wie ein Schleier oberhalb des Tassenrandes. Leon betritt das Büro. Winkler nimmt seine Lesebrille ab, legt sie zur Seite, schaut Leon an und verzieht keine Miene.
»Guten Morgen!« Leon gibt sich standhaft, weicht Winklers Blick nicht aus. Für Leon käme das einem Schuldbekenntnis gleich, und das will er vermeiden.
»Guten Morgen, Leon. Nehmen Sie Platz!« Winkler zeigt auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Beiläufig sieht er auf seine Armbanduhr, räuspert sich.
Leon setzt sich, überschlägt die Beine. Das korrigiert er rasch wieder, weil er findet, dass das verkrampft wirkt, und er hat keinen Grund verkrampft zu sein! Eine gewisse innere Anspannung lässt sich erklären und dürfte selbst für Winkler nachzuvollziehen sein, schließlich ist die Situation belastend. Leon nimmt sich fest vor, einfach nur er selbst zu sein - ganz gleich womit er konfrontiert
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