Der Oligarch
Gräber noch immer nicht besucht hat.«
»Er ist ein viel beschäftigter Mann«, sagte Carter.
»Glauben Sie, dass er seine Entscheidung bereut, die Entdeckung der Massengräber bekannt gegeben zu haben?«
»Er hatte keine andere Wahl, fürchte ich. Wir haben zugestimmt, die ganze Affäre geheim zu halten und Grigorijs Tod mit dieser lächerlichen Selbstmord-Story zu vertuschen. Aber die Massengräber waren nicht Bestandteil dieser Vereinbarung. Wir haben dem Kreml sogar unmissverständlich erklärt, dass wir dem russischen Volk die Wahrheit sagen werden, wenn er es nicht selbst tut.«
Gabriel faltete die Zeitung wieder zusammen und wollte sie Carter zurückgeben.
»Lesen Sie die Meldung darunter.«
Der Bericht handelte von dem neuerlichen Bürgerkrieg im Kongo, der über zehntausend Tote gefordert hatte. Daneben war eine verzweifelte Mutter abgebildet, die ihr totes Kind in den Armen hielt.
»Und können Sie erraten, wer die Flammen angefacht hat?«, fragte Carter.
»Charkow?«
Carter nickte knapp. »Er hat in den letzten Monaten zwei Flugzeugladungen Waffen in den Kongo geschickt. Granatwerfer, RPGs, Kalaschnikows und mehrere Millionen Schuss Munition. Und was, glauben Sie, hat der russische Präsident gesagt, als wir ihn gebeten haben zu intervenieren?«
»Wer bitte ist Charkow?«
»So ähnlich. Jedenfalls steht fest, dass sich der Kreml weder durch Schmeichelei noch durch gutes Zureden dazu bewegen lassen wird, Charkows Waffenhandel zu unterbinden. Wenn wir ihm jemals das Handwerk legen wollen, werden wir es selbst tun müssen.«
»So lange Charkow in Russland ist, kommt niemand an ihn heran.«
»Das stimmt – so lange er in Russland bleibt. Aber wenn er nun das Land verließe …«
»Das tut er nicht, Adrian. Nicht, solange Interpol mit internationalem Haftbefehl nach ihm fahndet.«
»Das würde man vermuten. Aber Charkow kann äußerst impulsiv sein.« Carter faltete die Hände unter dem Kinn und betrachtete die Wälle der Altstadt. »Nach unserer Zählung haben Sie und Ihr Team in diesem Sommer in Europa elf Russen liquidiert. Wir haben uns gefragt, ob Sie daran interessiert wären, noch einen weiteren Auftrag zu übernehmen.«
Gabriel spürte, wie sein Herz gegen die Rippen hämmerte. Die nächsten Worte sprach er weit ruhiger, als ihm zumute war.
»Wohin will er?«
Carter sagte es ihm.
»Droht ihm dort nicht Strafverfolgung?«
»Langley ist der Ansicht, dass der fragliche Staat kein wirkliches Interesse an einer Strafverfolgung hat.«
»Wieso nicht?«
»Natürlich aus politischen Gründen. Dieser Staat möchte seine Beziehungen zu Moskau ausbauen. Er fürchtet Vergeltungsmaßnahmen des Kremls für den Fall, dass ein persönlicher Freund des russischen Präsidenten verhaftet und vor Gericht gestellt würde.«
»Weiß der Geheimdienst des fraglichen Staats, dass Charkow dorthin unterwegs ist?«
»Wegen unserer Zweifel am Durchsetzungswillen seiner Politiker haben wir es vorgezogen, seine Spione nicht zu informieren. Außerdem würde das die Verfolgung anderer Optionen erschweren.«
»Welcher Optionen?«
»Ich denke, wir haben drei.«
»Nummer eins?«
»Wir lassen ihn seinen Urlaub genießen und kümmern uns nicht weiter um ihn.«
»Schlechte Idee. Nummer zwei?«
»Wir verhaften ihn selbst und bringen ihn auf amerikanischen Boden, um ihm den Prozess zu machen.«
»Zu kompliziert. Außerdem würde das eine Krise zwischen den Vereinigten Staaten und einem wichtigen europäischen Verbündeten auslösen.«
»Genau unsere Überlegung. Wir glauben sogar, dass wir auf dem Boden dieses Staats überhaupt nicht tätig werden dürfen.« Carter machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Womit wir bei der dritten Option wären.«
»Nämlich?«
»Kachol velavan. «
»Wie sicher wissen Sie, dass Charkow dorthin unterwegs ist?«
Carter legte ihm ein Dossier hin.
»Todsicher.«
77 S AINT -T ROPEZ
Die Jacht trug den passenden Namen Mischief, mit dem sie von drohendem Unheil kündete, und war der pure Luxus: vierundfünfzig Meter lang, in Amerika gebaut und auf den Bahamas registriert. Ihr Eigner und Betreiber war ein gewisser Maxim Simonow, besser bekannt als Mad Maxim, König der lukrativen russischen Nickelindustrie, Freund und Spielgefährte des russischen Präsidenten und ehemals Gast in der Villa Soleil, Iwan Charkows jetzt leer stehendem Strandpalast in Saint-Tropez. Obwohl Maxim an der spanischen Costa del Sol eine Villa im Wert von zwanzig Millionen Dollar besaß, zog er die
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