Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
faselnd, im Versuch, ihm Gesellschaft zu leisten, uns beide abzulenken. Aber jetzt war da praktisch keiner mehr, mit dem man reden konnte. Er schien sich jenseits der Erinnerung und ihres Bedauerns zu befinden, ein Mann, den es auf knappste Kontur herabgezogen hatte, schwerelos. Ich fuhr und redete, erzählte ihm von unserem Flug, nannte ihm unsere Flugnummer, wies darauf hin, dass wir auf der Warteliste standen, sagte ihm die Abflug- und die Ankunftszeit auf. Nackte Fakten. Im Klang meiner Worte vernahm ich den Widerhall einer schwächlichen Strategie, wie man ihn in die Welt zurückbefördern könnte.
Die Straße stieg an, die Landschaft ringsum wurde grün, verstreute Häuser, ein Wohnmobilpark, ein Silo, und er fing an zu husten und zu keuchen, ein mühevoller Kampf, um Schleim hochzuholen. Ich dachte, gleich erstickt er. Die Straße war schmal und steil, mit Leitplanke, und ich konnte nichts anderes tun als weiterzufahren. Endlich warf er den ganzen Schlamassel aus, hustete ihn hoch und spie ihn in seine offene Hand. Dann sah er sich an, wie es da wabbelte, und ich auch, kurz, ein dickes, fädiges, pulsierendes Ding in Perlgrün. Er wusste nicht, wohin damit. Ich schaffte es, ein Taschentuch hervorzuzerren und ihm hinzuwerfen. Ich wusste nicht, was er in dieser Handvoll Schleim sah, aber er starrte die ganze Zeit hin.
Wir kamen an einer Reihe Lebenseichen vorbei. Dann krächzte er ein paar Worte.
»Eines der alten Temperamente.«
»Was?«
»Phlegma. Zugehöriger Körpersaft: Schleim.«
»Phlegma«, sagte ich.
»Einer der uralten und mittelalterlichen Körpersäfte.«
Das Taschentuch lag auf seinem Oberschenkel. Ich griff danach, Augen auf die Straße gerichtet, schüttelte es aus und legte es ihm auf die Hand, über den Schleimbatzen. Ein Helikopter flog irgendwo hinter uns entlang, und ich warf einen Blick in den Rückspiegel, dann wieder auf Elster. Er rührte sich nicht, saß mit ausgestreckter, vom Tuch bedeckter Hand da. Und ließ sie zurück. Wir lauschten dem Geräusch des Rotors, das in der Ferne verebbte. Er wischte sich den Schlamassel von der Hand, dann knüllte er das Taschentuch zusammen und ließ es auf die Matte zwischen seine Füße fallen.
Wir fuhren schweigend hinter einem Motorboot her, das von einem schwarzen Pickup gezogen wurde. Ich dachte an seine Bemerkungen über Materie und Wesen, die langen Nächte auf der Terrasse, halb besoffen, er und ich, Transzendenz, Paroxysmus, das Ende des menschlichen Bewusstseins. Jetzt kam mir das wie eine Menge totes Echo vor. Der Omega-Punkt. Eine Million Jahre entfernt. Der Omega-Punkt hat sich, hier und jetzt, verdichtet zu der Spitze eines Messers, die gerade in einen Körper eindringt. All die großartigen Themen dieses Mannes zusammengetrichtert auf umgrenzten Kummer, einen Körper da draußen irgendwo oder auch nicht.
Wir fuhren durch Kiefernwald und an einem See entlang, kleine Vögel flogen knapp über der Wasseroberfläche. Er hielt die Augen geschlossen, sein Atem ein stetiges nasales Summen. Ich versuchte, an die Zukunft zu denken, die ungewissen Wochen und Monate vor uns, und mir wurde klar, was mir bis zu diesem Augenblick aus dem Sinn gerutscht war. Der Film war es. Ich erinnerte mich an den Film. Da sind sie wieder, Mann und Wand, Gesicht und Augen, aber kein üblicher Sprecherkopf. In diesem Film ist das Gesicht die Seele. Der Mann ist eine verzweifelte Seele, wie bei Dreyer oder Bergman, eine makelbehaftete Figur in einem Kammerspieldrama, und er rechtfertigt seinen Krieg und verdammt die Männer, die ihn geführt haben. Dazu würde es jetzt nicht mehr kommen, nie, nicht eine einzige Einstellung. Ihm würde die Willensstärke dafür fehlen oder der schiere Mut, und mir auch. Die Geschichte war hier, nicht im Irak und nicht in Washington, und wir ließen sie zurück und nahmen sie mit, beides.
Die Straße führte jetzt bergab, auf den Freeway zu. Er war angeschnallt wie ein schlafendes Kind. Ich dachte an den Flughafen, das Gepäck, einen Rollstuhl für ihn. Ich dachte an die mittelalterlichen Temperamente. Ich sah immer wieder zu ihm, nach ihm.
Da waren wir, kamen aus einem leeren Himmel. Der eine Mann jenseits von Wissen. Der andere allein mit dem Wissen, dass er von diesem Tag an etwas in sich tragen würde, eine Stille, eine Distanz, und er sah sich in irgendeinem überfüllten Loft, wo er die Hand auf die raue Oberfläche einer alten Backsteinwand legt, dann die Augen schließt und lauscht.
Bald fuhren wir gen Westen,
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