Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
schlagen, dann setzte ich mich wieder in Bewegung, auf das Ende des Fahrwegs zu. Ich bewegte mich langsam voran und blieb in der Nähe der Wand, im unterbrochenen Schatten. Nach einer Weile kam mir der Gedanke, dass ich allmählich das Auto erreicht haben müsste. Ich war müde und hungrig, das Wasser war alle. Ich fragte mich, ob diese Spalte eine nördliche und eine südliche Gabelung hatte und ob ich womöglich in die falsche Richtung geraten war? Ich konnte mir nicht einreden, dass das unmöglich war. Der Himmel schien sich auf einen Punkt hin zu verjüngen, wo die Klippenwände sich trafen, und ich dachte daran, umzukehren. Ich nahm die Wasserflasche heraus und versuchte, noch ein oder zwei Tropfen in meinen Mund zu pressen. Alle paar Schritte sagte ich mir, jetzt musst du umkehren, aber ich ging immer weiter, wurde immer schneller. Ich war mir nicht sicher, ob das derselbe Pfad aus Granitschotter war wie auf dem Hinweg. Ich versuchte, mich an Farbe und Textur zu erinnern oder an das Geräusch, das meine Schuhe auf den groben Steinchen gemacht hatten. In dem Moment, als ich wusste, ich hatte mich verirrt, sah ich, wie sich der Weg leicht erweiterte, und da stand das Auto, ein staubiger Haufen Schrott aus Metall und Glas, und ich öffnete die Tür und ließ mich auf den Sitz fallen. Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloss, drückte auf den Knopf der Klimaanlage und des Ventilators und auf noch ein paar andere Knöpfe. Dann lehnte ich mich einen Moment zurück und atmete einige Male bewusst ein und aus. Ich musste Elster sagen, dass es Zeit war, nach Hause zurückzukehren.
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich fiel von einem Wachtraum in den nächsten. Die Frau im anderen Zimmer, auf der anderen Seite der Wand, manchmal Jessie, andere Male nicht schlicht und eindeutig sie, und dann Jessie und ich in ihrem Zimmer, in ihrem Bett, wie wir uns umeinander wanden, drehten und aufbäumten, dem Meer ähnlich, den Wellen, ein unmöglicher nächtelanger Moment aus durchscheinendem Sex. Ihre Augen sind geschlossen, das Gesicht gelöst, sie ist Jessie und zugleich viel zu ausdrucksstark, um sie selbst zu sein. Sie scheint aus sich herauszuschweben, auch wenn ich sie in mich hereinhole. Ich bin da und erregt, sehe mich aber kaum selbst, wie ich in der offenen Tür stehe und uns beiden zuschaue.
Ich betrachtete ihn. Das Gesicht versank langsam in dem dichten Rahmen des Kopfes. Er saß auf dem Beifahrersitz, und ich sagte das Wort ruhig.
»Anschnallen.«
Er schien verzögert zu hören, wusste wohl, dass ich gesprochen hatte, scheiterte aber daran, den Sinn zu erfassen. Allmählich ähnelte er einer Röntgenaufnahme, nur noch Augenhöhlen und Zähne.
»Anschnallen«, sagte ich erneut.
Ich schnallte mich an und wartete, betrachtete ihn weiter. Wir nahmen den Mietwagen, meinen. Ich hatte das Auto mit dem Schlauch abgespritzt. Ich hatte die Taschen gepackt und in den Kofferraum gestellt. Ich hatte ein Dutzend Anrufe gemacht. Diesmal nickte er und griff nach dem Gurt oberhalb seiner rechten Schulter.
Wir ließen sie zurück. Es war schwer, das zu denken. Zu Anfang hatten wir verabredet, dass immer einer von uns da sein sollte. Jetzt ein leeres Haus, in den Herbst hinein und über den Winter, und keine Chance, dass er je zurückkehren würde. Ich schnallte mich wieder ab und beugte mich zu ihm hinüber, um ihm beim Anschnallen zu helfen. Dann fuhr ich in die Stadt, um den Tank aufzufüllen, und bald waren wir wieder draußen, durchquerten Verwerfungszonen und verzwirbelte Felsformationen, die Erdgeschichte, die vor dem Fenster vorbeiläuft, wie sich Berge bilden, Meere zurückweichen, Elsters Geschichte, Zeit und Wind, die Spur eines Haizahns auf Wüstengestein.
Es war richtig, ihn da rauszuholen. Er würde sich auf fünfzig Kilo runterzittern, wenn wir weiter dortblieben. Ich wollte ihn zu Galina bringen, so hieß sie, die Mutter, und ihn ihrem Mitgefühl überantworten. Was für ein Anblick, so schwach und niedergeschlagen. Was für ein Anblick, so untröstlich menschlich. Das Geschehene vereinte sie, sagte ich mir. Sie würde die Bürde mit tragen wollen, sagte ich mir. Aber ich hatte sie noch nicht angerufen, um ihr mitzuteilen, dass wir auf dem Weg nach Hause waren. Galina war der Anruf, vor dem ich Angst hatte.
Immer wieder sah ich hinüber. Er saß zurückgelehnt da, mit aufgerissenen Augen, und ich redete mit ihm wie an dem Morgen, als ich ihm die Haare geschnitten hatte, endlos durch den langen Morgen
Weitere Kostenlose Bücher