Der Orden
ein Rätsel, obwohl sie auf das Drängen ihres Großvaters hin sporadische Versuche unternahm, die Sprache zu erlernen.
Endlich war Julias Frisur fertig. Cartumandua erlaubte den Kammerfrauen, mit ihren Parfüm- und Cremefläschchen wieder näher zu treten. Diese Fläschchen waren zum Teil kunstvoll gestaltet; am liebsten mochte Regina ein Balsarium in Form eines kahlköpfigen Kindes. Julia wählte eine Gesichtscreme aus Sandelholz und Lavendel auf der Basis von tierischem Fett, ein wenig Bleiweiß für die Wangen, Ruß, um ihre Augenbrauen auffällig mit ihren blonden Haaren kontrastieren zu lassen, und eines ihrer kostbarsten Parfüms, das angeblich aus einem fernen Land namens Ägypten kam. Es war Regina strengstens verboten, mit diesen Dingen zu spielen, weil sie mittlerweile schwer zu bekommen waren; bis sich alles wieder normalisiert habe und die großen Handelswege, die das Imperium umspannten, wieder offen seien, sagte ihre Mutter, sei dies ihr gesamter Besitz an wundervollen Dingen, und sie seien zudem kostbar.
Schließlich war es an der Zeit, den Schmuck auszusuchen. Während Julia sich Ringe mit kostbaren Steinen und Gemmen an alle Finger steckte, verlangte Regina, ihrer Mutter die Drachenbrosche bringen zu dürfen. Es war ein sehr altes britannisches Motiv, aber im römischen Stil ausgeführt, ein silberner Wirbel, so groß, dass Regina ihn kaum in ihren kleinen Händen halten konnte. Sie kam auf Julia zu und streckte ihr die wunderschöne Brosche entgegen, und ihre Mutter lächelte; das Bleiweiß auf ihren Wangen schimmerte wie Mondlicht.
Es war der Tag der Sommersonnenwende, und der Nachmittag war lang. Der Himmel war blau wie ein Dohlenei und wolkenlos, und er blieb hell, auch als die Sonne schon längst untergegangen war.
Im langsam schwindenden Licht trafen die Gäste ein – zu Fuß, hoch zu Ross oder in ihren Einspännern. Die meisten kamen aus Durnovaria, der nächsten Stadt. Manche standen in der linden Sommerluft im Hof um den Brunnen herum, der noch nie funktioniert hatte, so lange Regina zurückdenken konnte, andere saßen auf Liegesofas oder in Korbsesseln. Sie unterhielten sich, tranken und lachten und nahmen sich dann von den Speisen, die auf den niedrigen Steintischen bereit standen. Es gab runde, frisch gebackene Brotlaibe, Schalen mit einheimischen Früchten wie Himbeeren, Walderdbeeren und Holzäpfeln, gesalzenes Fleisch, aber auch jede Menge Austern, Miesmuscheln, Herzmuscheln, Schnecken und Fischsoße – und, für teures Geld beschafft, ein paar Feigen und etwas Olivenöl vom Festland. Die Höhepunkte waren prächtige kulinarische Extravaganzen: mit Honig und Mohn beträufelte Haselmäuse, Würste mit Damaszenerpflaumen und Granatäpfeln, Pfaueneier in Teig.
Lauthals bewunderten die Gäste Julias neue Dekoration. Die verputzten Wände in der großen Halle waren mit purpurroten und grauen, blau geäderten Blöcken bemalt, und die untere Wandverkleidung trug ein elegantes Muster aus kleinen, grün umrandeten Rechtecken. Regina hatte erfahren, dass die alte Wandgestaltung – von der Natur inspiriert, mit Marmorimitat, Blumengewinden und Kandelabern, verziert mit gelben Gerstenähren – auf dem Festland jetzt völlig aus der Mode war. Ihr Vater hatte laut und lang über die Kosten der neuen Wandbemalung gejammert und sich darüber beklagt, wie schwer es heutzutage sei, Arbeiter zu finden. Ihr Großvater hatte nur die dicken Augenbrauen hochgezogen und dann durchklingen lassen, wie absurd es sei, eine Hälfte einer Villa zu bemalen, wenn die andere Hälfte niedergebrannt sei und man es sich nicht leisten könne, sie wieder aufzubauen…
Aber für Reginas junge Augen sah die neue Wandbemalung viel schöner aus als die alte, und nur darauf kam es an.
Das Unterhaltungsprogramm begann gleich nach der Ankunft der ersten Gäste. Julia hatte einen Geschichtenerzähler engagiert, einen betagten Mann, vielleicht fünfzig Jahre alt, mit einem gewaltigen, wilden, grauschwarzen Bart. Er erzählte – ganz und gar aus dem Gedächtnis – eine lange, weitläufige Geschichte, in der es darum ging, wie der Held Culhwch um die Hand der Tochter des Riesen Ysbadden angehalten hatte. Es war eine Geschichte aus der Zeit der Vorväter, bevor die Caesaren gekommen waren. Nur wenige Leute hörten ihm zu – selbst Regina war zu aufgeregt, um lange in seiner Nähe zu bleiben, obwohl sie wusste, dass es eine gute Geschichte war –, aber der alte Mann würde sie geduldig die ganze Nacht hindurch immer
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