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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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und Haarnadeln in den Händen von ihrer Herrin zurücktrat. Die fünfzehnjährige Sklavin war dünn wie ein Schilfrohr, mit schwarzen Haaren, tiefbraunen Augen und einem breiten, dunklen Gesicht, das an diesem Tag jedoch leichenblass war und vor Schweiß glänzte. Zwei weitere Sklavinnen standen mit bunten Parfüm- und Ölfläschchen daneben, aber Regina kannte ihre Namen nicht und ignorierte sie.
    Sie lief ins Zimmer. »Mutter! Mutter! Lass mich deine Haare machen!«
    Cartumandua zog den Kamm weg und murmelte mit ihrem starken, ländlichen Akzent: »Nein, Kind. Du verschandelst sie nur. Und wir haben keine Zeit…«
    Genauso hatte sie mit Regina gesprochen, als diese noch ein Kleinkind gewesen war und Cartumandua als Gefährtin und Beschützerin bekommen hatte. Aber von einer Sklavin brauchte Regina sich das nicht gefallen zu lassen. »Doch!«, fauchte sie. »Gib mir den Kamm, Cartumandua. Gib schon her!«
    »Schsch.« Julia drehte sich um und nahm die kleinen Hände ihrer Tochter in ihre zarten, manikürten Finger. Sie trug eine schlichte weiße Tunika, die bald von der eleganten Abendkleidung ersetzt werden würde. »Was machst du denn für ein Geschrei! Willst du unsere Gäste verscheuchen?«
    Regina schaute ihrer Mutter in die grauen Augen, die so sehr ihren eigenen glichen – die Familienaugen, Augen voller Rauch, wie ihr Großvater immer sagte. »Nein. Ich will deine Haare machen! Aber Cartumandua sagt…«
    »Und sie hat Recht.« Julia zog an Reginas widerspenstigem blonden Schopf. »Sie versucht, mir das Haar zu richten. Ich will ja auf meinem Geburtstagsfest nicht aussehen, als wäre ich den ganzen Tag an den Knöcheln aufgehängt gewesen, nicht wahr?« Das brachte Regina zum Lachen. »Ich sag dir was«, fuhr Julia fort. »Wenn Carta mit meinem Haar fertig ist, kannst du mir beim Schmuck helfen. Wie wäre das? Du hast so ein gutes Händchen bei der Auswahl der richtigen Ringe und Broschen.«
    »O ja, ja! Nimm den Drachen.«
    »Einverstanden.« Julia lächelte und küsste ihre Tochter. »Ich werde den Drachen tragen, nur für dich. Und jetzt setz dich da drüben hin und sei still…«
    Also setzte Regina sich hin, Julia wandte sich wieder ihrem Spiegel zu, und Cartumandua arbeitete weiter an den Haaren ihrer Herrin. Es war eine kunstvolle Frisur: Die Mitte wurde zu einem Zopf geflochten, nach hinten gezogen und aufgewickelt, während eine weitere geflochtene Partie direkt von Julias Stirn emporstieg und über den Kopf nach hinten geführt wurde. Die schweigenden Kammerfrauen salbten das Haar mit Parfüm und Ölen, und Cartumandua befestigte es mit schwarzen Nadeln, die sich dunkel gegen Julias goldenen Schopf abhoben.
    Regina schaute hingerissen zu. Es war eine komplizierte Frisur, die Zeit, Sorgfalt und die konzentrierte Aufmerksamkeit einer ganzen Riege von Dienerinnen erforderte – und vor allem deshalb trug Julia sie, so hatte Regina ihre Mutter bei einem jener Erwachsenengespräche sagen hören, die sie nicht richtig verstand. Andere Leute mochten ihr Geld im Familienmausoleum begraben, aber sie würde den Reichtum der Familie zur Schau stellen, damit jeder ihn sah. Außerdem war diese Frisur auf dem Festland gerade in Mode, das schloss sie jedenfalls aus den Bildern auf den neuesten Münzen, die aus den kontinentalen Münzstätten nach Britannien kamen. Julia war fest entschlossen, mit der Mode zu gehen, selbst wenn sie hier in der südwestlichen Ecke Britanniens festsaß, ungefähr so weit von Rom entfernt, wie es nur ging, ohne dass man vom Rand der Welt fiel.
    Natürlich liebte Regina Feste, wie jede andere Siebenjährige auch. Und Julia veranstaltete sehr viele Feste – üppige Lustbarkeiten, bei denen die Villa am Rand von Durnovaria in helles Licht getaucht war. Am meisten aber – sogar noch mehr als die Feste selbst – liebte Regina die umständlichen Vorbereitungen: die feinen Gerüche, das leise Klirren der Fläschchen in den Händen der stummen Sklavinnen, das Geräusch, mit dem die Kämme durchs Haar ihrer Mutter fuhren, und die je nach Bedarf mit leiser oder fester Stimme erteilten Anweisungen, mit denen Julia ihren kleinen Stab sachkundig befehligte.
    Während die Frisur weiter in Form gebracht wurde, lächelte Julia Regina zu und fing leise zu singen an – nicht in ihrer britannischen Muttersprache, sondern auf Latein, ein altes, seltsames Lied, das ihr Vater ihr beigebracht hatte. Es erzählte von geheimnisvollen, verschwundenen Göttern, doch der Text stellte Regina noch immer vor

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