Der Orden
Briganten, einer Königin, die vielleicht sogar Kaiser Claudius persönlich gegenübergestanden hat!« Die Briganten waren ein Stamm der alten Zeit, wie Regina gelernt hatte, und Claudius hatte Britannien vor langer, langer Zeit ins Imperium eingegliedert. »Aber jetzt«, sagte Aetius, »ist diese königliche Familie so arm, dass sie ihre Kinder in die Sklaverei verkaufen musste.«
»Meine Eltern haben Carta für mich gekauft.«
»Ja, so ist es. Aber Carta ist trotzdem die Tochter einer Prinzessin. Und du hast Glück, dass du überhaupt eine Dienerin hast. Früher einmal gab es für alles Sklaven. Man hatte sogar einen Sklaven, der die Zeit ausrief – ein menschliches Stundenglas! Aber jetzt glauben nur noch deine Mutter und ein paar andere, dass sie sich Sklaven leisten können. Jedenfalls darfst du Carta nicht schlecht behandeln.«
»Tu ich doch gar nicht!«
»Und dennoch ist sie krank.«
Regina dachte zurück und entsann sich, wie blass Carta bei Julias Ankleidezeremonie gewesen war. »Aber sie war schon vor dem Fest krank. Ich hab sie gesehen. Geh zu ihr und frag sie, was los ist.«
»Wirklich?« Immer noch nicht ganz überzeugt, ließ Aetius ihre Hand los. »Na schön. Wenn du lügst, weißt du es tief im Innern selbst… Oh.« Seine Augen wurden groß. Er legte den gewaltigen Kopf in den Nacken und schaute zum Himmel hinauf.
Überrascht hob Regina ebenfalls den Blick. Sie brauchte einen Moment, bis sie das Licht am Himmel entdeckte. Es war mitten im großen Sternenband – ein neuer Stern, heller als alle anderen, und er flackerte wie eine verlöschende Kerze. Gäste kamen mit Getränken und Speisen aus der Villa, und ihr Geplauder verebbte, als sie zu dem seltsamen Licht hinaufsahen. In der letzten Abenddämmerung glänzten ihre Gesichter wie Münzen.
Trotz der Wärme des Abends fror Regina auf einmal. »Was hat das zu bedeuten, Großvater?«
»Vielleicht gar nichts, mein Kind.« Er nahm sie in die Arme, und sie drückte ihren schmalen, warmen Körper an seine kräftige Gestalt und hörte ihn leise sagen: »Aber es ist ein mächtiges Omen. Ein sehr mächtiges Omen.«
Spät nachts, als alle Gäste schon heimgegangen waren, hörte Regina lautes Geschrei. Die erhobenen Stimmen hatten seltsame Ähnlichkeit mit dem Gebrüll von Kühen; sie wehten durch die stehende Luft im Hof zu Reginas Zimmer. Dass ihre Mutter und ihr Vater sich stritten, war nicht ungewöhnlich, erst recht nicht, wenn sie Wein getrunken hatten. Aber in dieser Nacht klang es besonders bösartig.
Das Geschrei nahm kein Ende, und sie konnte nicht wieder einschlafen. Sie stand auf und schlich über den Flur zu Cartumanduas Zimmer. Der Nachthimmel draußen vor den dicken Glasscheiben der Fenster kam ihr hell vor, aber sie schaute lieber nicht hinaus; wenn sie das seltsame Licht nicht weiter beachtete, würde es vielleicht wieder verschwinden, dachte sie.
Früher war Regina oft in Cartas Zimmer gekommen, um dort zu schlafen, und obwohl sie es nun schon seit ein paar Monaten nicht mehr tat, war es nicht so ungewöhnlich. Doch als sie in der Tür erschien, schreckte Carta zusammen und zog sich die Wolldecke über die Brust. Dann sah sie, dass es Regina war; sie entspannte sich und brachte ein Lächeln zustande, das im sommerlichen Halbdunkel undeutlich zu erkennen war.
Regina ging zum Bett hinüber – der geflieste Boden unter ihren nackten Füßen war kalt – und kroch zu der Sklavin unter die Decke. Sie fragte sich vage, was Carta geglaubt hatte, wer in ihr Zimmer gekommen sei, und vor wem sie sich fürchtete.
Selbst hier konnte sie das betrunkene Geschrei ihrer Eltern hören. Obwohl es nicht kalt war, hielten sich Carta und Regina eng umschlungen, und Regina drückte das Gesicht in den vertrauten Duft von Cartas Nachthemd.
»Geht’s dir wieder besser, Carta?«
»Ja. Viel besser.«
»Es tut mir Leid«, flüsterte sie.
»Was denn?«
»Dass dir meinetwegen übel geworden ist.«
Cartumandua seufzte. »Schsch. Mir war nicht gut, aber das war nicht deine Schuld.«
»Du hast wieder Essen gestohlen«, sagte Regina mit leisem Tadel.
»Ja. Ja, das stimmt. Ich habe Essen gestohlen…«
Der unnatürliche Klang ihrer Stimme entging Regina; in Cartas Armen geborgen, schlief sie schon wieder ein.
Am Morgen ließ sich ihre Mutter nicht blicken. Das war nach einem Fest nicht weiter ungewöhnlich. Diener und Sklaven wuselten umher, leerten Lampen, räumten Geschirr weg und fegten Fußböden. Sie sahen müde aus; auch für sie war es
Weitere Kostenlose Bücher