Der Pakt
schrecklicher Freude.
»Du hast Nick gesehen«, sagte Alan plötzlich misstrauisch. »Hast du mit ihm gesprochen?«
Sie hob die Augenbrauen. »Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass er eine schriftliche Erlaubnis braucht, um mit anderen Kindern zu spielen. Ja, ich habe ihn gesehen. Und es hat Spaà gemacht, ihn anzusehen.«
»Ja, schon gut, Cynthia«, meinte Alan, der offensichtlich der Meinung war, jedes Mal ihren vollen Namen aussprechen zu müssen, um die gröÃtmögliche Herablassung zum Ausdruck zu bringen. »Es ist nur ⦠ich will nur sagen, du solltest vielleicht ein wenig vorsichtig sein.«
»Vorsichtig?«, wiederholte Sin. »Willst du mir sagen, dass ich mich vor deinem eigenen Bruder in Acht nehmen sollte?«
Alans Gesicht nahm eine tiefrote, unglückliche Farbe an. Doch das interessierte Sin nicht.
Darüber, was Nick von Alan hielt, war man auf dem Markt geteilter Meinung. Die Vermutungen reichten von »völlig egal« bis zu »störrischer Bewunderung«. Aber Alan schien Nick stets zu lieben, er hielt zu ihm und kümmerte sich um ihn, während Nick mit finsterem Gesicht herumlief. Es war das Einzige an Alan, was Sin tatsächlich schätzte.
Sie nahm ihm ihre Schwester ab und wiegte sie im Arm. Sie drückte Lydies Wange an ihren Talisman, das verzauberte Gespinst aus Netz und Kristallen, das an ihrem Herzen lag.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie krank du mich machst«, erklärte sie Alan im leichten Plauderton. »Abgesehen vom Offensichtlichen natürlich.«
Sie setzte die Worte mit absichtlich böser Betonung ein wie eines ihrer langen Messer und sah, dass sie tief trafen. Aus Alans Gesicht wich die Farbe.
»Geh mir in Zukunft aus dem Weg«, sagte sie. »Und lass es dir nicht einfallen, dich noch mal mit meinem Publikum zu befassen.«
»Das war ein Mistkerl«, murmelte Alan. »Es ist falsch, Frauen zum Objekt zu machen.«
Er wandte sich den Bücherstapeln zu, als zöge er sich in einen Schutzraum zurück, und er klang bei diesen Worten ein wenig verlegen, als sei ihm bewusst, dass er zwar recht hatte, dass es aber albern klang. Alan war doch angeblich so clever, Sin konnte gar nicht verstehen, warum er nicht einsah, dass er sie beleidigte, wenn er ihr unterstellte, dass sie nicht genau wusste, was sie tat und was das für ein Kerl gewesen war.
Sie gab Lydie an Trish weiter und trat dicht an Alan heran, der sie verwundert ansah. Sin ignorierte ihre eigene Ãberraschung, dass er so groà war, und neigte sich noch dichter zu ihm, bis ihr Kinn fast an seiner Schulter lag, so dicht, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Sie konzentrierte ihren Blick, bis er ihm folgte und merkte, wen sie beobachtete.
»Rate mal, was ich jetzt mache«, sagte sie und lächelte süÃ. »Ich habe vor, deinen Bruder zum Objekt zu machen.«
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte sie sich ab und schritt über den Markt. Lächelnd sah sie die Touristen an, die zum ersten Mal da waren und den geheimnisvollen Einladungen von Fremden misstrauten, um gleich darauf nur noch zu staunen. Die Stände waren voller glitzernder Wunder wie eben entdeckte Schatztruhen, die zum ersten Mal geöffnet wurden, und selbst die Sterne funkelten wie die neuen Münzen auf ihrer schwarzen Samtunterlage an einem der Stände unter dem Licht der Laternen. Sin erinnerte sich, wie sie als kleines Kind an der Hand ihres Vaters über den Markt gegangen war und alles bestaunt hatte.
Jetzt war sie selbst Teil dieser Wunder.
Während sie den Flötenspielern zuhörte, änderte sich die Musik, die von oben kam, wurde intensiver und bekam einen Rhythmus, der sich zum Himmel aufschwang. Sin legte den Kopf in den Nacken, um die weiÃen Klippen zu betrachten, die in der Dämmerung schwarz und violett wurden, die Flötenspieler mit den im Mondlicht glänzenden Flöten am Rande und die Mauern und den Schlossturm darüber.
Dann senkte sie den Blick und bemerkte, dass alle sie ansahen.
Sie hatte sich bereits unter eine Laterne gestellt, die weiÃes Licht in einem Spitzenmuster verbreitete, eine Laterne, die so verzaubert war, dass alles, was sie beleuchtete, zu strahlen begann. Sin wusste, dass ihr silbernes Kleid wie Mondlicht auf Stahl leuchtete und die Fieberblüten in dem hellen Stoff und in ihrem dunklen Haar wie Feuer glühten.
Sie wiegte ihren Körper im Takt
Weitere Kostenlose Bücher