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Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Anspannung im Gesicht meiner Mutter gesehen, als sie ihm Kaffee und Kuchen brachte, die er kaum anrührte. Als er jetzt wieder in unserem Haus stand, diesmal in Uniform, wurde mir klar, dass sein vorheriger Besuch etwas mit den Schüssen zu tun hatte, aber ich wusste noch nicht inwieweit.
    Jimmys Neffe berichtete ihr alles, was sich auf einem Stück Brachland unweit des Hauses zugetragen oder offenbar zugetragen hatte, ohne darauf einzugehen, dass es sein zweiter Besuch an diesem Abend war. Sie wollte zu ihrem Mann, um ihm ihren Beistand anzubieten, aber er erklärte ihr, dass es sinnlos wäre. Die Vernehmung würde noch eine Zeitlang dauern, und danach würde er bis zum Abschluss der Ermittlungen bei vollem Gehalt vom Dienst suspendiert werden. Er werde bald nach Hause kommen, versprach er ihr. Warten Sie ab. Behalten Sie den Jungen im Auge. Erzählen Sie ihm vorerst noch nichts. Es liegt bei Ihnen, aber verstehen Sie, wir sollten lieber abwarten, bis wir alle mehr wissen …
    Ich hatte sie nach dem Anruf meines Vaters weinen gehört und war zu ihr hinuntergegangen. Ich stand im Schlafanzug vor meiner Mutter und sagte: »Was ist los? Mom, was ist los?«
    Sie hatte mich angeschaut, und einen Moment lang war ich mir sicher gewesen, dass sie mich nicht erkannt hatte. Sie war außer sich und stand unter Schock. Sie war wie erstarrt durch das, was mein Vater getan hatte, so dass ich ihr wie ein Fremder vorkam. Nur das konnte ihren kalten Blick erklären, den Abstand, der zwischen uns entstand, so als wäre die Luft gefroren und schnitte uns voneinander ab. Ich hatte diesen Gesichtsausdruck schon früher bei ihr gesehen, aber nur, wenn ich etwas so Schreckliches angestellt hatte, dass sie kein Wort hervorbrachte – wenn ich Haushaltsgeld gestohlen oder beim vergeblichen Versuch, einen Bobschlitten für meinen G.I. Joe zu basteln, einen Teller zerbrochen hatte, den ihr ihre Großmutter hinterlassen hatte.
    Ihr Blick, so fand ich, wirkte vorwurfsvoll.
    »Mom?«, sagte ich noch einmal, unsicher jetzt und erschrocken. »Geht es um Dad? Ist mit ihm alles in Ordnung?«
    Und sie brachte es fertig zu nicken, biss sich dabei aber so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut an ihren weißen Zähnen sah, als sie endlich etwas sagte.
    »Mit ihm ist alles in Ordnung. Es gab eine Schießerei.«
    »Wurde er verletzt?«
    »Nein, aber ein paar Leute … ein paar Leute sind tot. Sie reden mit deinem Vater darüber.«
    »Hat Dad sie erschossen?«
    Aber sie wollte mir nicht mehr sagen.
    »Geh wieder ins Bett«, sagte sie. »Bitte.«
    Ich tat, wie mir geheißen, konnte aber nicht schlafen. Mein Vater, der Mann, der es kaum über sich brachte, mir einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben, hatte seine Waffe gezogen und jemanden getötet. Dessen war ich mir sicher.
    Ich fragte mich, ob mein Vater Schwierigkeiten bekommen würde.
    Irgendwann ließen sie ihn gehen. Zwei Schränke von der Abteilung für interne Angelegenheiten brachten ihn nach Hause und ­saßen dann draußen und lasen Zeitung. Ich beobachtete sie von meinem Fenster aus. Mein Vater wirkte alt und gebrochen, als er den Weg entlangging. Sein Gesicht war unrasiert. Er warf einen Blick zum Fenster hoch und sah mich. Er hob die Hand zum Gruß und versuchte zu lächeln. Ich winkte zurück, bevor ich mein Zimmer verließ, aber ich lächelte nicht.
    Als ich auf halber Höhe der Treppe war, hatte mein Vater meine Mutter an sich gedrückt, während sie weinte, und ich hörte ihn sagen: »Er hat uns darauf hingewiesen, dass sie möglicherweise kommen.«
    »Aber wie ist das möglich?«, fragte meine Mutter. »Wie konnten das die gleichen Leute sein?«
    »Ich weiß es nicht, aber es war so. Ich habe sie gesehen. Ich habe gehört, was sie gesagt haben.«
    Meine Mutter fing wieder an zu weinen, aber der Tonfall hatte sich verändert: Es war jetzt ein hohes Wehklagen, wie von jemandem, der zusammenbricht. Es war, als wäre ein Damm in ihr geborsten und alles, was sie verborgen hatte, ergieße sich durch die Bruchstelle und spülte das Leben, das sie einst hatte, in einem Strudel aus Schmerz und Gewalt davon. Später fragte ich mich, ob sie das, was danach geschah, hätte verhindern können, wenn sie die Haltung bewahrt hätte, aber sie war zu sehr mit ihrem Kummer beschäftigt, um zu erkennen, dass ihr Mann etwas Entscheidendes in seinem Dasein zerstört hatte, als er diese zwei jungen Leute erschoss. Er hatte ein unbewaffnetes Teenagerpärchen ermordet, und trotz allem, was er ihr gesagt hatte,

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