Der Pakt der Wächter: Roman
und mit gespitzter Feder und frischer Tinte, denn ich bewahre ein Geheimnis in mir aus dem Leben, das ich mit meinem König geteilt habe. Berichten will ich über einen Raubzug in ferne Länder, in das Reich der Sonne, zu den Tempeln fremder Götter.
Wieder blinzelte der Alte in Richtung der Fensterscharten. Der Nebel hüllte das Kloster ein. Die Möwen waren verstummt. Er sah nach unten auf die Worte, die er geschrieben hatte. Die Runen füllten das weiße Pergament in symmetrischen Reihen. Er stand mühsam auf und schlurfte zu der Fensteröffnung, stützte die Ellenbogen auf die Brüstung und richtete den Blick wieder auf seine Erinnerungen. Der salzige Geruch des Meeres führte seine Gedanken zurück in seine Jugend, als er gemeinsam mit König Olav mit vom Wind zerzausten Haaren am Bugsteven des Wikingerschiffes Havørnen stand, den Blick fest auf die unbekannte Welt vor ihnen gerichtet.
RUNENSTAB URNES STABKIRCHE
Des heiligen Kultes
Amon-Ra
würdige WÄCHTER
kennen der Runen
klangvolles Geheimnis
VATIKAN 1128 N. CHR.
Das Gesicht des Kardinalbischofs Benedictus Secundus schimmerte blass im Licht der rußenden Tranlampe. Er warf den Stapel Pergamente auf den Tisch und bohrte seinen Blick in den Archivar:
»Warum habe ich diesen Text nicht eher zu lesen bekommen?«
»Eure Exzellenz! Dieses koptische Schriftstück lag zwischen zahlreichen anderen Schriftstücken, die der Vatikan schon vor über hundert Jahren beschlagnahmt hat. Seitdem lagen sie unberührt im Magazin, bis Präfekt Scannabecchi befahl, alles fortzuräumen und zu katalogisieren. Das koptische Schriftstück wurde wie viele andere erst kürzlich übersetzt. Wir hatten keinerlei Kenntnis« – der Archivar zögerte und blickte vom Kardinalbischof zu Ritter Clemens de’Fieschi, dem Vertrauten des Papstes, der wie ein Schatten im Halbdunkel stand -, »um welche Art von Text es sich handelte.«
»Von wem stammt der koptische Text?«
»Von einem Ägypter, Eure Exzellenz.«
»Das kann ich mir wohl denken.«
»…einem Hohepriester …«
»Ha!«
»…namens Asim.«
»Wo ist der Originaltext?«
»Das Papyrusdokument befindet sich, soweit wir wissen, in Norwegen.«
Der Blick des Kardinalbischofs flackerte suchend umher.
» Noruega «, wiederholte der Archivar. »Das Schneeland, weit oben im Norden.«
» Noruega .« Der Kardinalbischof konnte sich nur mit Mühe beherrschen. »Wie konnte eine Sammlung heiliger Schriftstücke bei diesen … diesen Barbaren landen?«
»Das wissen wir nicht«, flüsterte der Archivar.
»Ich brauche wohl nicht zu betonen, wie wichtig es ist, dass die Originale wieder in die Hände des Vatikans gelangen?«
»Deshalb habe ich Euch unterrichtet, Exzellenz.«
Der Kardinalbischof wandte sich an Clemens de’Fieschi: »Ich möchte, dass Ihr Euch auf die Suche nach dem Original macht. In diesem … Land. Noruega .«
Clemens de’Fieschi trat mit einer angedeuteten Verbeugung aus den Schatten.
»Eure Exzellenz«, warf der Archivar ein und blätterte durch den Stapel Pergamente, bis er fand, wonach er suchte. »…die Beschreibung des Ägypters Asim gibt da nur sehr vage Auskunft …«
»Findet die Originale!«, fiel ihm der Kardinalbischof ins Wort, den Blick noch immer auf Ritter de’Fieschi gerichtet. »Und bringt sie zurück.«
»Eure Exzellenz!«, erwiderte de’Fieschi mit einem kurzen Nicken. Die Flammen der Lampen flackerten, als er sich mit wehendem Mantel umdrehte. Sie hörten Schritte, dann fiel eine Tür ins Schloss.
»De’Fieschi muss das Original finden!«, platzte der Kardinalbischof heraus, wobei er das mehr zu sich selbst sagte als zum Archivar. »Wenn dieses Manuskript in die falschen Hände gerät …!«
»Das darf niemals geschehen.«
»Kein Wort. Zu niemandem.«
Der Kardinalbischof ließ seinen Blick über die Regalreihen schweifen, die von Pergamenten, Manuskripten, Dokumenten und Briefen überquollen. Er faltete die Hände, und mit den Worten »Herr, mein Gott, hilf uns, die Papyrusrollen zu finden« ließ er den Archivar verängstigt im Ruß der Tranlampe zurück.
GRABINSCHRIFT LYSEKLOSTER 1146 N. CHR.
HIR:HUILIR:SIRA:RUTOLFER
HIER RUHT SIRA RUDOLF
AUS DEM CODEX SNORRI 1240 n. Chr.
Ehrwürdiger WÄCHTER
der du die Rätsel der Zeichen deutest
du allein sollst finden den Runenstein
in der Runenrose letztem Grab
wo Bischof Rudolf ruht
ISLAND 1241 N. CHR.
In der Nacht, als sie kamen, um ihn zu töten, stand er lange auf dem Hofplatz und blickte
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