Der Pakt der Wächter: Roman
Sacred Secrets freigelegt wurde, ein Goldschrein mit einer Handschrift – ein Umstand, der mir in akademischen Kreisen einen gewissen Ruf einbrachte.
Sira Magnus schloss die Tür zu der Forscherwohnung auf, in der ich wohnen sollte. Ich stellte den Koffer im Flur ab. Dann packte ich ihn am Jackenärmel, zog ihn hinter mir her in die Stube und drückte ihn auf einen Stuhl.
»So! Und jetzt erzähl!«
Sein Gesicht glich dem eines Kindes, sah man einmal von dem Spitzbart und dem Netz aus Runzeln ab. Er räusperte sich, feierlich und zeremoniell, wie vor einer Verkündigung: »Gestatte deinem Freund, die Geschichte chronologisch darzulegen.«
»Ach, jetzt mach schon!«
»Das Ganze nahm vor etwa zwei Wochen seinen Anfang. Wir hatten einen Todesfall in der Nachbarschaft. Ein älterer, gelähmter Mann. Das kam nicht unerwartet. Nach der Beerdigung bat mich die Familie, bei der der alte Mann mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde gelebt hatte, ihr bei der Durchsicht der ansehnlichen Manuskriptsammlung zu helfen, die der Verstorbene hinterlassen hatte. Der Alte hatte ein Steckenpferd gehabt: Genealogie, Familienforschung. Die Sammlung enthielt sowohl neueste Forschungsbeiträge als auch isländische Ahnentafeln und Handschriften. Die Eheleute, bei denen er gelebt hatte, sind aktive Mitglieder der Gemeinde. Freunde von mir. Er hatte ihnen alles vermacht. Und nun fragten sie mich also um Rat, weil die isländische Gesellschaft deCODE, die Genforschung im Rahmen biopharmazeutischer Entwicklung von Medikamenten betreibt, Interesse am Erwerb der Sammlung geäußert hatte.«
»Was für ein Interesse kann deCODE daran haben?«
»Island besitzt eine weltweit einzigartige Genbank. Die genealogische Historie der meisten Isländer kann bis in die Zeit der ersten Besiedlung Islands zurückverfolgt werden. DeCODE hofft wohl, aus der Sammlung des Alten neue Erkenntnisse über bislang noch unbekannte Geschlechterabfolgen ziehen zu können. Und der befreundete Bauer wollte gern das Urteil eines Fachmannes einholen, damit sich deCODE nicht etwas unter den Nagel reißt, das eigentlich in die Handschriftensammlung in Reykjavik gehört.«
»Und was hast du entdeckt?«
»Die Sammlung ist einzigartig. Wirklich! Uralte Bücher. Briefe. Pergamente. Handschriften. Manche davon fallen fast auseinander. Karten. Eigentumsübereignungen. Zwischen den Pergamenten habe ich eine Aufzeichnung von 1453 über das Geschlecht der Sturlunga gefunden, Snorris Familienzweig.«
Ich wollte eine Frage einwerfen, aber er hielt mich mit einer Handbewegung davon ab.
»Als ich eine der Pergamenthandschriften weglegen wollte, bemerkte ich eine leichte Wölbung unter dem Lederumschlag. Und da habe ich« – er räusperte sich schuldbewusst – »die morsche Naht aufgetrennt, um nachzuschauen, was darunter sein könnte.«
»Du hast was getan?«
»Hör zu! In dem Buchumschlag hab ich einen noch älteren Text entdeckt.«
»Du hast den Umschlag aufgeschnitten?«
»Die Pergamentsammlung in dem Umschlag war wie ein Buch zusammengenäht. Ein Codex.«
»Etwas Antiquarisches aufzuschneiden ist Vandalismus. Das weißt du ganz genau.«
»Ich habe etwas Schreckliches getan, Bjørn.«
»Das kann man laut sagen! Du hättest es einem Konservator überlassen müssen, den Lederumschlag zu öffnen.«
»Nein, das meine ich nicht.«
»Was denn sonst? Dass du den Umschlag aufgeschnitten hast, ist schon schlimm genug.«
»Etwas an dem Text …« Sein Blick schweifte verträumt ab. »Der Klang der Wörter, die Handschrift, die vielen geometrischen Figuren …«
»Was hast du getan?«
»Du weißt, dass ich ein ehrlicher und rechtschaffener Pastor bin!«
»Magnus, was hast du getan?«
Er schielte mich beschämt an. »Ich habe die Pergamentsammlung in meine Jacke gesteckt und sie mit nach Hause genommen.« Sein Blick glitt über den Boden. »Ich habe sie gestohlen, Bjørn.«
2
Später am Abend, ein kalter Wind wehte in Böen aus den Bergen über die Ebene, zeigte Sira Magnus mir den Codex. Wir saßen an dem robusten Tisch in einem der Räume des Pfarrhauses, einen Steinwurf von der Snorrastofa entfernt.
Sein Gesicht war verzerrt.
»Hast du Schmerzen?«, fragte ich.
Bedrückt schüttelte er den Kopf.
»Schämst du dich wegen der gestohlenen Pergamente?«
»Da ist noch etwas. Ich … Nein. Nicht jetzt. Später vielleicht.«
Er entnahm eine in Packpapier und Zeitungen eingeschlagene Schachtel aus einem verschlossenen Fach in der Schatulle. Nachdem er mehrere
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